Der Höllenbote
Höllenboten. Er war wirklich ein Monstrum. Die schwarzen Flügel schienen aus seinem ebenfalls dunklen Umhang zu wachsen. Sein totenkopfähnliches Gesicht schimmerte gelb. Die muskulösen Arme hielt er ausgestreckt und seine Hände dabei auf dem Griff eines Schwerts gestützt. Ein besonderes Schwert, das erkannte ich sehr schnell, denn es besaß eine goldene Klinge.
Goldene Klinge?
Ich trat noch näher an das Gemälde heran, weil ich plötzlich einen schrecklichen Verdacht hatte. Ja, kein Zweifel, das war es. Yuisan, der Höllenbote, hielt ein Schwert in der Hand, das ich kannte. Es gehörte Kara, der Schönen aus dem Totenreich!
***
Karas Waffe! Das Schwert mit der goldenen Klinge! Himmel, wie kam es auf das Bild? Klar, die Frau hatte es gemalt, aber wieso befand es sich in der Hand des Höllenboten?
Hatte er Kara die Waffe etwa abgenommen? Alles deutete darauf hin. Nur konnte ich das einfach nicht glauben. Ich hätte bestimmt davon erfahren, daß man Kara…
Meine Gedanken stockten und schlugen eine andere Richtung ein. Vielleicht waren die beiden Waffen doch nicht identisch. Es konnte sein, daß Kara ihr Schwert besaß und der Höllenbote das gleiche. Dann mußte es zwei Waffen geben.
Davon hatte mir Kara nie etwas erzählt. Vielleicht hatte ich ihr auch keinen Grund gegeben. Auf jeden Fall wollte ich mich erst damit abfinden, daß das Schwert des Höllenboten mit der Waffe Karas identisch war. Vielleicht ergab sich noch eine andere Lösung, das mußte die Zeit mit sich bringen.
Genau schaute ich mir das Bild an, als ich mich von dem ersten Schock erholt hatte.
Selbst auf mich machte der Höllenbote einen grausamen Eindruck. Er wirkte irgendwie gnadenlos und zu allem entschlossen. Ein schreckliches Monstrum mit einem gelben Totenschädel, der allerdings nicht wie ein skelettierter Kopf aussah, sondern von einer hauchdünnen Haut überspannt war.
Ein wirklich seltsames Bild.
Ich drehte mich um und erkannte dicht unter der Decke der gegenüberliegenden Wand den Strahler, der sein Licht auf das Bild warf und es aus der Dunkelheit holte.
Der kurz vor dem Gemälde auseinanderfächernde Strahl beleuchtete nur die Figur, den Hintergrund ließ er im Dunkeln. Dort hatte die Künstlerin auch nichts geschaffen, was man erkennen konnte. Der Background blieb düster.
Er paßte zu der Figur des Höllenboten, die mich irgendwie faszinierte. Ich trat so nahe an das Bild heran, daß ich nur den Arm auszustrecken brauchte, um es zu berühren.
Es war in Öl gemalt worden. Ich spürte die Farbe unter meinen tastenden Fingerkuppen und merkte auch, daß sie nicht überall gleich dick aufgetragen war. Es gab Vertiefungen, winzige Risse und auch kleine Erhebungen auf der Leinwand. Ein normales Ölgemälde. Nichts Außergewöhnliches, wie ich mich selbst hatte überzeugen können. Wieder trat ich zurück. Suko hatte mich indirekt gewarnt. Das Wesen war in China bekannt, es gehörte zu der Mythologie des Landes, doch ich hatte nichts darüber gehört. Bis jetzt nicht, das änderte sich nun. Ich wollte dem Rätsel des Höllenboten auf den Grund gehen. Meine Neugierde war geweckt, und wenn das Monstrum tatsächlich so gefährlich war, dann durfte es auf keinen Fall länger in London bleiben, wobei ich froh war, daß die Ausstellung an diesem Tag zu Ende ging. Aus der Distanz betrachtet, wirkte das Bild noch düsterer. Ich hatte das Gefühl, als würde der Höllenbote leben und auf seine Chance lauern, aus dem Bild zu steigen.
Das hört sich zwar phantastisch an, war aber nicht so von der Hand zu weisen. Ich selbst hatte bei der Bestie von Soho erlebt, wie ein Monstrum aus dem Bild gestiegen war, so daß es plötzlich lebte. Die Ausstellung war für mich plötzlich interessant geworden. Ich wollte auch die anderen Dinge sehen, die aus China mitgebracht worden waren und verließ diesen Raum.
Es war in der Tat das einzige Bild. Im Nebenraum fand ich nur andere Dinge.
Kunstvolle Vasen, Gefäße und Schalen. Sie alle hatten ihr Alter, doch die Bemalung und die Farben zeigten sich so frisch, als wären diese Dinge erst vor einem Jahr hergestellt worden.
Unter Glas-und Plastikhauben konnte man sie besichtigen. Die Fundstücke gaben Zeugnis von einer wechselvollen Geschichte des Riesenlandes China. Auf einer schlanken Vase entdeckte ich abermals das Bild des Höllenboten. Yuisan sah ebenso aus, wie auf dem Gemälde. Jede Einzelheit konnte ich erkennen, da die Vase angestrahlt wurde.
Dann schlug eine Tür.
Ich schreckte
Weitere Kostenlose Bücher