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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Mond verhüllt sein Gesicht erneut und taucht den Wald in tiefe Schatten.
    «Du musst verschwinden», sagt sie mit leiser Stimme. «Mein Vater glaubt, du bist noch am See. Du musst gehen, bevor er seinen Irrtum bemerkt.»
    Selbst jetzt noch habe ich insgeheim gehofft, sie werde mir versichern, dass ich nichts zu befürchten habe und alles nur ein Missverständnis war. Ich will wieder aufstehen, aber sie zieht mich nach unten hinter den Mönch. Sie ist jetzt selbst nur noch ein Schatten, und ihr Gesicht ist in der Dunkelheit nicht zu erkennen.
    «Lass ihm eine Minute Zeit, bis er nicht mehr zu sehen ist. Hier, nimm das.»
    Sie drückt mir etwas in die Hand. Ich kann zwar nichts sehen, aber ich fühle meinen Stiefel.
    «Den habe ich auf dem Weg gefunden», flüstert sie. «Darum habe ich mir gedacht, dass ich dich hier finde.»
    «Wo ist Gretchen?», frage ich und versuche, mir blind den Stiefel überzustreifen. Mein Fuß ist vom Blut glitschig, und er ist angeschwollen und passt nicht hinein.
    «Bei Michel.»
    «Was hat sie deinem Vater erzählt?»
    «Kümmere dich nicht darum. Hier, nimm die.» Mathilde drückt mir etwas anderes in die Hand. Schlüssel und etwas, das sich wie eine kleine Rolle Geldscheine anfühlt. «Das ist nicht viel, aber mehr habe ich nicht. Und den hier wirst du auch brauchen.»
    Sie reicht mir etwas Dünnes und Flaches. Ich brauche einen Moment, bis ich meinen Reisepass erkenne.
    «Du hast meinen Rucksack durchwühlt?» Noch immer sind meine Überlegungen eher träge, aber ich verstehe nicht, wann sie die Zeit gehabt haben soll, ihn vom Dachboden zu holen.
    «Nicht heute Abend. Den habe ich schon an mich genommen, als du in die Stadt gefahren bist.»
    Ich weiß gerade nicht, was mich mehr entsetzt: die Tatsache, dass sie meinen Reisepass genommen hat, oder dass ich sein Fehlen gar nicht bemerkt habe. «Warum?»
    «Weil ich nicht wollte, dass du verschwindest, ohne mir Bescheid zu geben. Ich will dich um einen Gefallen bitten, aber wir müssen jetzt gehen. Bist du so weit?»
    Einen Gefallen? «Ich bekomme den Stiefel nicht an», sage ich verwirrt.
    «Das kannst du später machen. Wir müssen uns beeilen.»
    Sie schiebt mich hinter der Statue hervor. Ich habe keine Wahl, sondern trage den Stiefel, während sich Steinchen und Zweige in meinen nackten Fuß bohren.
    «Vorsichtig», sagt sie und lenkt mich um einen Schatten herum. Zuerst weiß ich nicht, was sie meint, aber dann entdecke ich etwas Scharfkantiges, Graues.
    Ich habe mich also geirrt. Arnaud hat rings um die Statuen sehr wohl seine Fallen platziert.
    Aber Mathilde scheint zu wissen, wo sie hintreten darf. Sie führt mich zurück zum Waldweg, und ich humple eilig hinter ihr her. Jedes Mal, wenn ich meinen Fuß aufsetze, durchfährt mich der frische Schmerz. Die Wolken vor dem Mond sind vom Wind in Fetzen gerissen und erlauben einem schwachen Licht durchzudringen. Ich riskiere einen Blick Richtung See, aber Arnaud ist nirgends zu entdecken.
    «Was für einen Gefallen?», frage ich leise.
    Es ist hell genug, dass ich sehe, wie sie sich mit dieser vertrauten Geste eine Strähne hinters Ohr schiebt. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, doch ich spüre ihre Anspannung.
    «Ich will, dass du Gretchen mitnimmst.»
    «Du willst
was

    «Psst. Hör mir einfach zu.» Mathilde packt meinen Arm und spricht hastig mit leiser Stimme. «Ich muss sie von hier fortbringen, und dich würde sie begleiten. Ich weiß, das ist ziemlich viel verlangt, aber ich erwarte auch nicht von dir, sie zu unterstützen. Ich schicke so bald wie möglich mehr Geld.»
    «Himmel, Mathilde …»
    «Bitte! Ich hätte der Polizei auch von den Drogen in deinem Rucksack erzählen können.»
    Natürlich hat sie davon gewusst, denke ich und bin wie gelähmt. Ich war ein Fremder und habe drei Tage lang gefiebert. Es war klar, dass sie meine Sachen durchsucht, um herauszufinden, um wen sie sich da überhaupt kümmert. Die einzige Überraschung ist eigentlich, dass ich trotzdem bleiben durfte.
    Es sei denn, sie hat dafür ihre Gründe.
    Die tiefhängenden Zweige werfen ein Schattenspiel auf Mathildes Gesicht, als das Mondlicht durch die Wolken bricht. Der Feldweg erwacht zum Leben. Hinter dem Wald zeichnen sich die Rebstöcke überdeutlich ab, und die Furchen der Wagenspuren sehen aus wie mit Kohle gezeichnete Linien. Ich glaube, dort eine Bewegung zu sehen, während Mathilde mich zur Eile drängt.
    «Schnell, wir …»
    Plötzlich ein Schuss. Er kam von irgendwo hinter uns, aus

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