Der Hof (German Edition)
gesagt, er sei Louis’ Sohn, aber ich war nicht sicher, ob diese Behauptung einer Prüfung standgehalten hätte.
Manches lässt man lieber im Dunkeln.
Ich schwieg also und behielt Mathildes Geheimnis für mich. Der Einzige, der noch mehr Licht ins Dunkel der düsteren Geschichte des Hofs hätte bringen können, war Georges. Kurz überlegte ich, wie viel der alte Schweinepfleger tatsächlich wusste. Aber nicht mal die Polizei konnte seine Gleichgültigkeit durchbrechen. Er blieb dabei, dass er in all den Jahren auf dem Hof nichts gesehen, gehört oder mitbekommen hatte. Nur einmal zeigte er Emotionen, als seine Befragung vorbei war.
«Was wird aus den Sanglochons?», fragte er.
Er brach zusammen und weinte, als er erfuhr, dass sie eingeschläfert wurden.
Ich dachte, der Hof könnte nicht noch mehr enthüllen, aber da hatte ich mich geirrt. Arnaud versuchte gar nicht erst, irgendeinen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften, und seine Aussage zu dem Mord an Louis passte zu der von Mathilde. Bis auf ein Detail.
Er behauptete, er habe ihn ermordet.
Laut Arnaud war Louis wieder zu Bewusstsein gekommen, als er mit ihm in der Schlachthütte war. Offensichtlich war er durch Mathildes Schlag nur betäubt worden. Er hatte das Werk seiner Tochter also vollendet, danach den Leichnam entbeint und an die Sanglochons verfüttert. Als die Polizei ihn fragte, warum er das getan hatte, war seine Antwort gewohnt freimütig:
«Ein Schwein ist wie das andere.»
Es ist gut möglich, dass er gelogen hat, um die Schuld auf sich zu nehmen und Mathilde zu schützen. Aber es fällt mir schwer, das zu glauben. Wenn man bedenkt, was für ein Mann er war, ist es wahrscheinlicher, dass er die eigene Tochter in dem Glauben gelassen hätte, sie hätte ihren Liebhaber getötet. Das würde sie nämlich noch mehr an ihn binden, und diese beiläufige Grausamkeit passte besser zu dem Arnaud, den ich kannte. Warum er plötzlich gestanden hat? Vermutlich war er resigniert, jetzt, da er alles verloren hatte.
Mathilde hatte ihm den Rest gegeben, als sie Jean-Claude und seine Frau fragte, ob sie Michel adoptieren wollten.
Ich war entsetzt, als ich davon erfuhr. Doch irgendwie ergab auch das Sinn. Obwohl ich kaum ermessen kann, was für ein großes Opfer es für sie war, ihren Sohn aufzugeben, würde Michel sie kaum mehr erkennen, wenn sie aus dem Gefängnis kam – und das auch nur, wenn das Gericht eine milde Strafe verhängte. Sie stellte also wieder einmal die Interessen anderer über ihre eigenen. Jean-Claude würde Michel ein gutes Zuhause bieten und, was mindestens genauso wichtig war, einen Neuanfang. Arnaud hingegen würde es noch viel mehr schmerzen als jede Gefängnisstrafe, wenn sein geliebter Enkel von Louis’ Bruder aufgezogen wurde.
Wie alles an ihr war Mathildes Rache eher subtil.
Ich erkannte den alten und gebrochenen Mann kaum wieder, der vor Gericht stand. Die Haut hing schlaff wie ein schlechtsitzender Anzug von seinen Knochen, und zwischen Kinn und Hals wabbelte ein Kehllappen. Aber es waren seine Augen, die die Veränderung am deutlichsten zeigten. Der stählerne Blick war verschwunden, und seine Augen waren von Zweifeln und Verlustängsten getrübt.
Nur einmal flackerte der Arnaud auf, den ich kannte: Als die Anklage verlesen wurde, hob er den Kopf und blickte sich mit jener altbekannten Verachtung im Gerichtssaal um. Dann begegneten seine Augen denen seiner Tochter. Undurchdringlich und ruhig schaute sie zurück, bis er den Blick senkte.
Wenn die Verurteilung Arnauds unausweichlich schien, erstaunte es mich doch, dass Mathilde fast dieselbe Strafe bekam wie ihr Vater. Auch wenn sie nicht selbst den tödlichen Schlag ausgeführt hatte, blieb der Vorwurf der Vertuschung eines Mords. Und ohne den Hintergrund eines lebenslangen Missbrauchs, der zu ihren Gunsten gesprochen hätte, erschien ihre Rolle bei der Ermordung Louis’ in einem grellen Licht. Als ihr Strafmaß verkündet wurde, blieb sie äußerlich ruhig, obwohl ich sah, wie ihre Hand zitterte, als sie sich eine Strähne hinters Ohr schob. Ich beobachtete sie und fühlte mich hilflos, als sie abgeführt wurde. Als sie die Tür erreichte, blickte sie mich für einen winzigen Moment an.
Dann schloss sich die Tür, und sie war fort.
Ich wische den Sand von der Plastikverpackung und verlasse die Kammer. Das Nieseln ist zu einem ausgewachsenen Regen geworden, als ich den Hof überquere und zur Scheune gehe. Das Wasser tropft vom Tor, als ich im Innern meinen
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