Der Hof (German Edition)
Papa ist doch kein Dieb!», erwidert sie heftig. «Das sind doch nur alte Statuen, und die Herrensitze, wo er sie herhat, sind alle verlassen. Wie kann er sie stehlen, wenn dort schon lange keiner mehr lebt?»
Ich bezweifle, ob die Besitzer das genauso sehen würden, aber ich habe Gretchen für einen Nachmittag schon genug verärgert. Und der Spaziergang hat mich mehr erschöpft, als ich gedacht hätte. Der Hund läuft vor uns her, als wir aus dem Wald treten, und jagt durch den ausgetrockneten Weingarten. Die Sonne brennt immer noch heiß, aber inzwischen steht sie tiefer, und wir werfen lange Schatten, die aussehen wie dürre Riesen. Ich arbeite mich verbissen mit gesenktem Kopf vorwärts und bin zu erschöpft, um zu reden. Als wir die Scheune erreichen, bin ich völlig durchgeschwitzt, und meine Beinmuskeln zucken von der Anstrengung.
Gretchen schiebt sich eine Haarsträhne hinters Ohr, als wir am Scheunentor stehen bleiben. Eine unbewusste Geste, die sie vermutlich ihrer Schwester abgeschaut hat. «Sie sind ja ganz nass geschwitzt», sagt sie und zeigt beim Lächeln wieder ihre Grübchen. «Sie sollten mehr mit der Krücke üben. Ich mache nachmittags meistens mit Michel einen Spaziergang. Wenn Sie mögen, kann ich mich morgen wieder mit Ihnen am See treffen.»
«Dann bin ich nicht mehr hier», erkläre ich ihr. «Ich verschwinde morgen früh.» Wenn ich es ausspreche, kann ich es selbst fast glauben. Allein der Gedanke fühlt sich aber an, als wollte ich mich den Steilhang hinunterstürzen.
Gretchen starrt mich an. «Sie können nicht gehen! Was ist mit Ihrem Fuß?»
«Ich krieg das schon hin.»
Ihr Gesicht verhärtet sich. «Das ist Mathildes Schuld, nicht wahr?»
«Mathilde? Nein, natürlich nicht.»
«Sie verdirbt immer alles. Ich hasse sie!»
Ihre plötzliche Gehässigkeit stößt mich ab. «Das hat absolut nichts mit Mathilde zu tun. Ich muss eben fort, das ist alles.»
«Schön. Dann verschwinden Sie schon!»
Sie dreht sich um und lässt mich einfach stehen. Ich seufze und starre in das dunkle Innere der Scheune. Ich warte, bis ich wieder zu Atem gekommen bin, dann beginne ich den langen Aufstieg die Holztreppe hinauf zum Dachboden.
Ich schlafe ein paar Stunden, und als ich aufwache, scheint die Sonne nicht mehr in den Dachboden. Es ist immer noch heiß und stickig, aber das Licht wirkt dämmrig. Es ist vermutlich schon spät. Der Blick auf die Uhr bestätigt meine Vermutung: nach acht. Bisher ist noch nichts vom Abendessen zu sehen. Ich frage mich, ob es sich einfach nur verspätet oder ob ich Arnaud oder Gretchen so sehr verärgert habe, dass ich nichts verdient habe.
Ich bin ohnehin nicht sicher, ob ich was essen kann.
Ich gehe nach unten und wasche mich am Wasserhahn. Das eisige Wasser raubt mir den Atem, aber danach fühle ich mich ein bisschen besser. Dann setze ich mich vor die Scheune und beobachte, wie die Sonne langsam untergeht. Als sie hinter dem Kastanienwald verschwindet, gönne ich mir eine Zigarette. Meine letzte, aber morgen kann ich mich zuerst auf die Suche nach einem Supermarkt oder einem Bar-Tabac machen. Und danach …
Ich habe keine Ahnung.
Die glühende Spitze meiner Zigarette hat fast meine Finger erreicht, als ich Schritte über den Hof kommen höre. Mathilde taucht auf und trägt ein Tablett, auf dem ich zu meiner Überraschung eine Flasche Wein und einen Teller mit dampfendem Essen sehe.
Ungeschickt komme ich auf die Füße. «Bleib sitzen», sagt sie und stellt das Tablett neben mir ab. «Tut mir leid, dass das Abendessen so spät kommt. Michel war nörgelig und ließ sich nicht beruhigen.»
Obwohl ich mir vorhin noch eingeredet habe, es wäre mir egal, welchen Grund es für ihre Verspätung gibt, bin ich erleichtert über diese banale Erklärung.
«Das riecht lecker», sage ich. Das tut es wirklich. Es gibt Schweinefleisch mit Kastanien, Bratkartoffeln und grünem Salat. Zu schade, dass ich keinen Hunger habe.
«Ich dachte, du nimmst heute Abend vielleicht etwas Wein. Es ist nur unser eigener, aber zusammen mit dem Essen ist er gar nicht mal so schlecht.»
«Welchen Anlass gibt’s dafür?» Ich überlege, ob sie ein bisschen meinen Abschied feiern will.
«Kein Anlass. Es ist nur Wein.» Sie gießt das Wasserglas halbvoll mit der dunklen Flüssigkeit. «Willst du immer noch morgen weiterziehen?»
Ich frage mich, was Gretchen ihr wohl erzählt hat. Vielleicht nichts, und ich will mir auf ihre Frage was einbilden. «Ja.»
«Wie sehen deine Pläne
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