Der Hof (German Edition)
aus?»
«Ich habe noch keine konkreten Pläne.» Es klingt gar nicht schlecht, wenn ich es so formuliere. Mathilde schiebt sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
«Du könntest hierbleiben. Wir können auf dem Hof Hilfe brauchen.»
Ihre Worte entsprechen so überhaupt nicht dem, was ich erwartet habe, und erst begreife ich es gar nicht. «Bitte was?»
«Wenn du nicht sofort wieder wegmusst, gibt’s hier immer was zu tun. Wenn du interessiert bist, heißt das.»
«Du bietest mir einen
Job
an?»
«Bis auf Georges sind nur wir drei hier. Wir könnten ein zusätzliches Paar Hände gut gebrauchen, und Gretchen hat mir erzählt, du wärst früher Maurer gewesen.» Ihre Hand schiebt wieder die Haare zurück. «Du wirst gesehen haben, in was für einem erbärmlichen Zustand unser Haus ist. Die Wände müssen dringend ausgebessert werden.»
«Ich habe auf Baustellen gearbeitet, aber das ist nicht dasselbe. Warum beauftragt ihr nicht ein örtliches Bauunternehmen mit den Arbeiten?»
«Das können wir uns nicht leisten», sagt sie. «Wir können auch nicht besonders viel zahlen, aber Kost und Logis sind frei. Du musst auch nicht sofort mit der Arbeit anfangen. Warte erst, bis du wieder zu Kräften gekommen bist, und dann arbeite einfach in deinem eigenen Tempo. Mach einfach das, wozu du dich in der Lage fühlst.»
Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht und versuche nachzudenken. «Was ist mit deinem Vater?»
«Mach dir um ihn keine Sorgen.»
Ja, schon klar. «Er
weiß
doch, dass du mir einen Job anbietest, oder?»
Die grauen Augen sind undurchdringlich. «Ich würde dich nicht fragen, wenn er nicht Bescheid wüsste. Mein Vater kann manchmal stur sein, aber er ist Realist. Die Arbeit muss getan werden, und da die Vorsehung dich hergeführt hat … Es wäre für uns alle das Beste.»
Vorsehung, ach so. Es hatte also nichts mit den Fallen ihres Vaters zu tun. «Ich weiß nicht …»
Sie erhebt sich anmutig. In der Dämmerung wirken ihre Gesichtszüge sehr ernst und undurchdringlicher als je zuvor. «Gute Nacht. Wir sehen uns morgen früh.»
Ich beobachte, wie sie um die Ecke der Scheune verschwindet. Völlig perplex nehme ich einen Schluck Wein und verziehe das Gesicht.
«Gott …»
Der Wein wird bestimmt keine Preise gewinnen, aber er ist kräftig. Ich riskiere noch einen Schluck und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Plötzlich hat sich alles verändert. Wenn ich ohne einen genauen Plan und ein Ziel fortginge, würde mich das in Schwierigkeiten bringen, aber ich glaubte bisher nicht, dass ich eine Wahl habe. Jetzt habe ich sie, und vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, mir eine Atempause zu gönnen. Wenn ich bleibe, löst das meine Probleme nicht, aber mir bleibt mehr Zeit zum Nachdenken. Wenigstens kann mein Fuß in Ruhe verheilen, ehe ich irgendwelche schwerwiegenden Entscheidungen treffen muss.
Gott allein weiß, dass ich auf keinen Fall wieder in irgendeine Situation geraten will, die mich vor unlösbare Probleme stellt.
Die Sonne ist fast untergegangen und hinterlässt nur das goldene Echo ihrer Strahlen. Ich koste von dem Schweinefleisch. Es schmeckt intensiv und ein bisschen nach Wild und ist mit Knoblauch gekocht. Es ist so zart, dass es auseinanderfällt. Ich nehme noch einen Schluck Wein und fülle mein Glas auf. Mathilde hat recht: Zum Essen schmeckt er besser, wenngleich das nicht viel zu bedeuten hat. Der Alkohol und das intensive Aroma bescheren mir einen angenehmen Schwips.
Irgendwann merke ich, dass die Depression, die permanent wie eine dunkle Wolke über mir hing, sich gelichtet hat. Ich gönne mir noch ein Glas Wein und blicke über den Wald zu den dahinterliegenden Feldern. Das einzige Geräusch ist das abendliche Zirpen der Grillen. Keine Autos sind zu hören, keine Menschen. Der Frieden ist perfekt.
Ja, das hier ist der perfekte Ort, um sich zu verstecken.
LONDON
Von dem Geld, das Chloe für ein Gemälde bekommt, fahren wir nach Brighton. Der Käufer ist ein Kunsthändler, der in Notting Hill eine Galerie eröffnen wird. Das Bild, ein kaltes, abstraktes Gemälde in Blau und Violett, das ich persönlich zu düster finde, will er für sich behalten und nimmt sechs weitere in Kommission, die zur Eröffnung in der Galerie aufgehängt werden.
«Endlich passiert es!», jubelt Chloe nach dem Telefonat. Sie wirft sich auf mich und schlingt die Beine um mich. «Das passiert wirklich!»
An diesem Abend feiern wir im Domino. Chloe hat früher Schluss gemacht und taucht mit ein
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