Der Hof (German Edition)
glücklich hinterher.
«Gretchen ist ein deutscher Name, richtig?», frage ich, froh über die Chance, das Thema zu wechseln.
Sie flicht die nächste Blüte ein. «Papas Familie stammt aus dem Elsass. Ich bin nach meiner Großmutter benannt. Und unser kleiner Michel hier hat Papas zweiten Vornamen bekommen. Es ist wichtig, die Familientradition aufrechtzuerhalten.»
«Nach wem ist Mathilde benannt?»
Gretchens Miene versteinert. «Woher soll ich das wissen?»
Sie reißt die nächste Blume mit so viel Wucht heraus, dass sie den Stiel mitsamt der Wurzel in der Hand hält. Ungeduldig wirft sie die Blume weg und pflückt die nächste. Ich versuche, die Stimmung mit einem Themenwechsel aufzulockern. «Und wie alt ist Michel?»
«Im Herbst wird er eins.»
«Ich habe seinen Vater gar nicht gesehen. Kommt er aus der Gegend?»
Ich versuche nur, höflich ein Gespräch zu führen, aber Gretchens Gesicht verhärtet sich noch mehr. «Wir reden nicht über ihn.»
«Tut mir leid, ich wollte nicht neugierig sein.»
Nach kurzem Schweigen zuckt sie mit den Schultern. «Na ja, ist ja kein Geheimnis. Er ist fortgegangen, bevor Michel geboren wurde. Er hat uns einfach hängenlassen. Wir haben ihn in der Familie willkommen geheißen, und er hat uns betrogen.»
Das klingt eher nach ihrem Vater als nach Gretchen, aber ich enthalte mich lieber jeglichen Kommentars. Sie fädelt die letzte Blume auf die Kette und verbindet die beiden Enden, ehe sie die Kette um Michels Hals hängt. Er grinst und zerdrückt die Blumen mit der kleinen Faust.
Ein leerer Ausdruck tritt auf Gretchens Gesicht, als hätte jemand ihre Gesichtshaut gepackt und sie mit Gewalt nach hinten gezogen. Sie klapst den Kleinen auf den Arm, und diesmal schlägt sie fester zu als vorhin bei mir. «Böser Junge!» Ihr Neffe beginnt zu heulen. Das überrascht mich nicht, denn ihre Hand hat einen roten Abdruck auf seinem pummeligen Ärmchen hinterlassen. «Böser,
böser
Junge!»
«Es war nur ein Versehen», sage ich, weil ich fürchte, sie könnte ihn ein zweites Mal schlagen.
Für eine Sekunde glaube ich, sie wird stattdessen auf mich einprügeln. Doch der Moment ist so schnell vorbei, wie er gekommen ist, und ihre Laune bessert sich schlagartig. «Er macht ständig solche Sachen», sagt sie und wirft die kaputte Blumenkette weg. Dann hebt sie ihren Neffen hoch und knuddelt ihn. «Komm, Michel. Nicht weinen. Gretchen hat’s nicht so gemeint.»
Ich würde behaupten, dass sie es sehr wohl so gemeint hat, aber das Baby lässt sich leichter überzeugen. Sein Heulen wird zu einem Schluckauf, und schon bald gluckst er wieder. Nachdem Gretchen ihm Augen und Nase abgewischt hat, ist der ganze Vorfall schon vergessen.
«Ich bringe ihn besser wieder ins Haus», sagt sie und steht auf. «Kommen Sie mit?»
Ich zögere. Ich würde lieber noch am See bleiben, und dann ist da immer noch ihr Vater.
«Nein, das lasse ich wohl lieber.»
«Warum? Haben Sie Angst vor Papa?» Sie grinst.
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Der Mann hat mich bisher mit dem Gewehr bedroht und eine Treppe runtergeworfen. Darum ist es nur vernünftig, ihn nicht noch mehr zu provozieren. Trotzdem wurmt mich ihre Andeutung gewaltig.
«Ich glaube einfach, es wird das Beste sein, wenn er mich nicht mit dir zusammen sieht. Das ist alles.»
Sie lächelt. «Keine Sorge. Er hat einen schlimmen Rücken und legt sich nach dem Mittagessen immer hin. Und Georges geht mittags nach Hause. Es ist also niemand da, der Sie verraten könnte.»
Es scheint, als habe ich keine andere Wahl. Mit einem letzten wehmütigen Blick auf den See hieve ich mich unelegant wieder auf die Füße. Gretchen geht langsam, damit ich mithalten kann. Sie hat die Hüfte vorgestreckt, um das Gewicht des Babys zu stützen, und ihre Beine sind unter dem hellblauen Kleid lang und gebräunt. Ihre Flipflops schlappen über den staubigen Feldweg und bilden einen Kontrapunkt zum Schaben meiner Krücke. Eine spätnachmittägliche Ruhe hat sich über den Wald gesenkt. Sie scheint noch ausgeprägter zu sein, als wir die Statuen erreichen. Die Steinfiguren verleihen dem Waldweg die Stille eines Kirchenschiffs.
«Was machen die eigentlich hier?», frage ich und bleibe stehen, um wieder zu Atem zu kommen.
Gretchen schaut kaum hin. «Papa wird sie verkaufen. Er hat schon vor Jahren angefangen, sie zu sammeln. Sie wären überrascht, was in den Gärten alter Châteaus herumsteht.»
«Du meinst, er hat sie gestohlen?»
«Natürlich nicht!
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