Der Hof (German Edition)
langsamen Verfall und gehe den Feldweg entlang weiter.
Der See ist nicht mehr weit entfernt. Mit Schilf umstanden, liegt das unter dem Sonnenlicht gleißende Wasser ruhig da. Enten, Gänse und andere Wasservögel gleiten über den See und ziehen hinter sich v-förmige Spuren. Ich atme die würzige Luft ein und spüre, wie sich die Verspannungen in meinen Schultern lösen. Heute Vormittag bin ich realistisch genug, um zu wissen, dass es nicht möglich wäre, im See zu schwimmen. Aber der Gedanke hat nichts von seiner Verlockung eingebüßt.
Ich laufe zu einem Steilufer, das einen ungehinderten Blick über den See ermöglicht. Ein einsamer Kastanienbaum steht hier oben und streckt die Äste bis über den See aus, der an dieser Stelle sicher tief genug ist, um einfach hineinzuspringen, aber dann bemerke ich einen finsteren Schatten, der wie ein lauernder Hai in wenigen Metern Entfernung unter der Wasseroberfläche ruht. Ein unter Wasser liegender Fels, der auf denjenigen wartet, der sorglos genug ist, vom Felsvorsprung zu springen. Das hätte ich wissen müssen, denke ich enttäuscht. Sogar der See stellt mir eine Falle.
Ich lasse mich langsam zu Boden sinken und lehne mit dem Rücken am Baumstamm, während ich über das Wasser schaue. Der Weg hierher hat mich erschöpft, aber ich bin froh, die Anstrengung auf mich genommen zu haben. Eine zweite Chance wird es nicht geben. Wenigstens geht es meinem Fuß davon nicht viel schlechter. Der Verband, den Mathilde heute früh angelegt hat, ist schon wieder verdreckt, aber es gibt keine frischen Blutflecke, und der Schmerz ist mehr ein Jucken. Meine Ängstlichkeit kostet mich noch einen Tag, aber wenigstens wird mich jetzt nichts mehr davon abhalten, morgen fortzugehen.
Und was dann?
Ich weiß es nicht.
Wenn es einen Vorteil hatte, in die Falle getreten zu sein, dann wohl die Ablenkung von allen unnützen Gedanken. Während meiner Zeit hier war ich zu beschäftigt, um mir über meine Vergangenheit oder meine Zukunft den Kopf zu zerbrechen. Aber das geht bald zu Ende. Nur noch eine Nacht, dann stehe ich wieder dort, wo ich gestartet bin. In einem fremden Land auf der Flucht und ohne einen Schimmer, was ich tun soll.
Meine Hände zittern, als ich meine Zigaretten aus der Hosentasche ziehe, aber bevor ich mir eine anzünden kann, kommt der Springer Spaniel aus dem Unterholz getobt. Die Enten am Rand des Sees stieben laut auseinander, als er sie verfolgt. Arnaud, denke ich und versteife mich. Aber nicht der
Papa
folgt dem Hund. Es ist Gretchen mit dem Baby.
Der Spaniel bemerkt mich als Erster. Mit hektisch wedelndem Schwanzstummel rennt er auf mich zu.
«Braves Mädchen.»
Froh über die Ablenkung, streichle ich den Hund und versuche ihn davon abzuhalten, auf meinen Fuß zu steigen. Gretchen bleibt stehen, als sie mich sieht. Sie trägt ein ärmelloses Baumwollkleid aus hellblauem Stoff, das ihre gebräunte Haut betont. Das Kleid ist dünn und ausgebleicht, und ihre Beine sind bis auf die Flipflops nackt. Trotzdem würde sich auf der Straße jeder Mann nach ihr umdrehen.
Sie trägt das Baby Michel auf eine Hüfte gestützt. Von ihrer freien Hand hängt ein blassrotes Tuch, bei dem die Ecken zusammengeknotet sind, um eine Tasche zu formen.
«Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe», sage ich.
Sie schaut zu dem Feldweg, als müsse sie überlegen, ob sie nicht lieber zurückgeht. Dann tauchen für einen flüchtigen Moment die Grübchen in ihren Wangen auf.
«Das haben Sie nicht.» Sie wuchtet das Baby etwas weiter oben auf ihre Hüfte. Das Tragen des Kinds hat sie in der Hitze angestrengt. Sie hebt das rote Stoffbündel hoch. «Wir sind hergekommen, um die Enten zu füttern.»
«Ich dachte, nur in der Stadt machen Leute so was.»
«Michel liebt es. Und wenn sie wissen, dass sie hier gefüttert werden, bleiben sie, und wir können uns hin und wieder eine nehmen.»
«Nehmen» war wohl eher ein Euphemismus für «töten». So viel zur friedlichen Stimmung. Gretchen knotet das Tuch auf und kippt das Brot aus. Die Vögel flattern aufgeregt näher. Ihr lärmendes Schnattern wird von kleinen Begeisterungslauten des Kinds und vom Bellen des Hunds begleitet, der direkt am Wasser herumtollt.
«Lulu! Hierher, komm!»
Sie wirft für den Spaniel einen Stein. Während der Hund dem Stein nachjagt, kommt sie zu mir nach oben auf den Felsvorsprung und setzt sich in der Nähe hin. Das Baby setzt sie neben sich. Es findet einen Ast und fängt an, damit zu spielen.
Ich schaue
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