Der Hof (German Edition)
vor zwei fertig sein, darum mache ich mir einen Kaffee und suche eine DVD aus. Ich entscheide mich für
Ein mörderischer Sommer
, den ich wie alle anderen Filme in meiner Sammlung schon mehrmals gesehen habe. Chloe behauptet, ich mag den Film so sehr, weil Isabelle Adjani im Grunde den ganzen Film über nackt ist. Das stimmt schon irgendwie, aber selbst ohne die nackte Adjani ist die Kameraführung wunderbar.
Ich sehe bei diesem Reigen aus Leidenschaft, Gewalt und Tragödie zu, der unentrinnbar seinen Lauf nimmt. Erst als der Film zu Ende ist, merke ich, wie spät es schon ist. Chloe hätte schon vor einer Stunde zurück sein müssen.
Niemand geht ans Telefon, als ich in der Bar anrufe. Ich warte noch eine halbe Stunde, dann hinterlasse ich ihr eine Nachricht, falls sie in der Zwischenzeit zurückkommt, und mache mich auf den Weg ins Domino. Die Straßen sind verlassen. Ich folge dem Weg, den Chloe von der King’s Road nehmen würde, wenn sie zu Fuß heimgeht. Allerdings nimmt sie sich inzwischen meistens ein Taxi oder wird von Kollegen mitgenommen, wenn ich sie nicht abhole. Die Tür der Bar ist verschlossen, und drinnen ist kein Licht zu sehen, aber ich hämmere trotzdem dagegen. Nachdem das Echo meiner Schläge verstummt ist, bleibt das Gebäude aber still und dunkel.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich stehe auf dem Bürgersteig und blicke in beide Richtungen die verlassene Straße entlang, als glaubte ich allen Ernstes, sie könnte auf mich zukommen. Ich habe keine Ahnung, wo die anderen Mitarbeiter wohnen. Aber einmal bin ich mit Chloe bei Tanja gewesen. Ich weiß zwar nicht mal, ob sie heute Abend auch gearbeitet hat, aber mehr fällt mir im Moment nicht ein.
Obwohl ich schnell gehe, ist es fast fünf Uhr früh, als ich ihr Haus in Shepherd’s Bush erreiche. Der Eingangsbereich ist unbeleuchtet, und ich muss mir mit meinem Handy leuchten, um die Namen auf den Klingelschildern zu erkennen. Es ist kalt, aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich friere. Als sie nicht aufmacht, drücke ich wieder auf den Klingelknopf und nehme den Finger nicht mehr runter.
«Schon gut, schon gut, wer ist da?» Die Stimme knackt durch die Gegensprechanlage. Sie klingt wütend und verzerrt.
«Tanja, hier ist Sean», sage ich, den Mund ganz nah an dem Mikrophon. «Hast du eine Ahnung, wo …»
«Sean wer?»
«Chloes Freund. Sie …»
«Himmel, weißt du eigentlich, wie spät es ist?»
«Ich weiß, es tut mir echt leid, aber Chloe ist heute nicht von der Arbeit nach Hause gekommen. Hast du eine Ahnung, wo sie ist?»
«Nein, wieso sollte ich?» Sie klingt müde und gereizt.
Meine Hoffnung schwindet. Ich hatte gehofft, dass sie mir sagt, Chloe sei bei ihr oder dass sie auf eine Party gegangen ist. Irgendwas.
«Hast du gesehen, wann sie gegangen ist?»
«Ja, sie … ach nein, stimmt gar nicht. Ich bin heute Abend vor ihr gegangen. Sie hat noch mit diesem Typen geredet, der ziemlich spät kam. Sie meinte, ich könne ruhig schon gehen.»
«Ein Typ? Was für ein Typ? Wer war das?»
«So ein Typ eben. Hör mal, ich muss morgen echt früh raus …»
«Hast du diesen Typen schon mal gesehen?»
«Nein. Wie ich schon sagte, es war einfach so ein Typ. Irgendwie protzig, aber Chloe schien ihn zu kennen. Darf ich jetzt wieder ins Bett?»
Die ersten Arbeiter sind schon unterwegs, während ich zurück zur Wohnung gehe. Meine Nachricht liegt immer noch auf dem Küchentisch, wo ich sie hingelegt hatte. Ich schaue vorsichtshalber ins Schlafzimmer, aber das Bett ist unberührt.
Um acht rufe ich Yasmin an. Ich erwarte eigentlich nicht, dass Chloe bei ihr ist, und das ist sie auch nicht.
«Hast du schon die Polizei benachrichtigt?», fragt Yasmin sofort.
«Nein, noch nicht.» Diese letzte Möglichkeit habe ich bisher noch von mir gewiesen. «Glaubst du, das sollte ich?»
«Gib ihr bis heute Mittag», sagt sie schließlich.
Es ist schon fast elf, als ich höre, wie jemand die Tür aufschließt. Ich sitze am Küchentisch, mein Mund schmeckt bitter nach Kaffee und Erschöpfung. Als Chloe hereinkommt, empfinde ich einen Moment lang sprachlose Erleichterung.
Sie zögert, als sie mich so am Tisch sitzen sieht, und schließt die Tür.
«Himmel, wo bist du gewesen? Ist mit dir alles in Ordnung?»
«Ja.» Sie macht eine vage Geste. «Ich habe bei einem Freund übernachtet.»
«Hättest du nicht anrufen können?»
«Es wurde ziemlich spät. Ich wollte dich nicht stören.»
Chloe sieht mich nicht an. Ihr Gesicht ist blass,
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