Der Hof (German Edition)
blaue Schatten liegen unter den Augen. Die anfängliche Erleichterung weicht einem anderen Gefühl.
«Was für ein Freund?»
«Keiner, den du kennst.» Sie steuert das Badezimmer an. «Ich muss jetzt …»
«Was für ein
Freund
?»
Chloe bleibt mit dem Rücken zu mir stehen. «Jemand, den ich mal kannte. Niemand Besonderes.»
«War das derselbe Mann, mit dem Tanja dich gestern Abend zusammen gesehen hat?»
Ihr Kopf ruckt überrascht herum. Dann nickt sie knapp.
«Ist er ein Exfreund?»
Wieder nickt sie. Ich habe das Gefühl, als würde mir die Luft aus der Lunge getrieben.
«Hast du mit ihm geschlafen?»
Sie hat sich mir jetzt ganz zugewendet, und ihr Gesicht wirkt angespannt. «Bitte mach das nicht …»
«Hast du?»
«Nein!», schreit sie plötzlich wütend. «Nichts ist passiert, hörst du? Und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe!»
«Dich in
Ruhe
lassen? Ich war krank vor Sorge! Ich dachte, du hättest einen Unfall gehabt oder … oder du wurdest überfallen! Und jetzt kommst du hier reingeschneit und verkündest, du wärst mit einem anderen Mann zusammen gewesen, und erwartest von mir, nichts dazu zu sagen?»
«Das geht dich verdammt noch mal nichts an, verstanden?»
Ich starre sie wie betäubt an. Meine Wut brodelt immer noch, aber ich habe das ungute Gefühl, dass es für uns beide kein Zurück gibt, wenn ich der Wut nachgebe. «Du meinst das ernst?»
«Nein. Ich weiß nicht.» Sie fängt leise an zu weinen. «Es tut mir leid, ja?»
Sie läuft ins Badezimmer und schließt hinter sich ab. Ich bleibe sitzen und fühle nichts. Absolut gar nichts.
KAPITEL 9
Ich bin bereits auf, als Mathilde am nächsten Morgen mein Frühstück bringt. Ich wurde von dem wiederholten Krähen eines Junghahns geweckt und bin ziemlich verkatert. Zum Abendessen habe ich mir wieder eine Flasche Wein gegönnt. Über Château Arnaud kann man ja nicht viel Gutes sagen, aber stark ist das Zeug. Ich gehe zu dem Plumpsklo und halte danach meinen Kopf unter den Wasserhahn und wasche die letzten Spuren der Müdigkeit ab. Wasser tropft von meinen Haaren, als ich nur in meiner Jeans draußen vor der Scheune sitze und die kühle Luft auf meiner nackten Haut genieße.
Es ist ein herrlicher Morgen wie auch jeder andere seit meiner Ankunft. Der Himmel spannt sich endlos blau und hat noch nicht jenes gleißende Weiß angenommen, das mit der Hitze kommt. Am Horizont steht ein dunkler Wolkenstreifen, doch noch scheint er zu weit entfernt zu sein, um eine Bedrohung darzustellen.
Ich verscheuche mit dem Fuß die rostfarbene Henne, die Anstalten macht, auf
ihn
einzupicken. Als ich Mathilde näher kommen höre, blicke ich auf.
«Guten Morgen», sagt sie.
Ihr Gesicht verrät wie immer nur wenig. Sie stellt das Tablett mit meinem Frühstück neben mich auf den Boden. Ein feiner Dampf steigt von dem Kaffee auf, und das Brot riecht frischgebacken. Die beiden gepellten Eier liegen wie zwei weiße Pobacken dicht aneinandergeschmiegt auf einem Tellerchen.
«Ich habe das hier gebastelt», sagt Mathilde und zieht etwas hervor, das sie unter den Arm geklemmt hat. «Für deinen Fuß.»
Es ist die Sohle von einem Gummistiefel, von dem der obere Teil bis auf die Ferse großteils weggeschnitten wurde. Schnürbänder sind durch Löcher in der Sohle gefädelt worden.
«Richtig.» Ich bin nicht sicher, was ich sagen soll. «Danke.»
«Als Schutz für den Verband. Ich dachte, es könnte dir bei der Arbeit helfen.» Sie schiebt sich eine Strähne hinters Ohr. Ich weiß inzwischen, dass sie das macht, wenn sie unsicher oder nervös ist, und diese Erkenntnis lässt mich Schlimmes fürchten. «Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Gretchen hat erzählt, du wärst mal Englischlehrer gewesen.»
«Ich habe nur privat unterrichtet», sage ich misstrauisch. «Nicht an einer richtigen Schule.»
«Würdest du sie unterrichten?»
«Ähm, ich weiß nicht, ob das …»
«Ich würde dich dafür bezahlen», fährt sie rasch fort. «Nicht viel. Aber du müsstest ihr auch keine richtigen Stunden geben. Nur … na ja, wenn du ohnehin mit ihr redest.»
Ich will das Angebot ablehnen. Nach dem gestrigen Abend bin ich zu dem Schluss gelangt, dass ich besser so wenig wie möglich mit ihrer Schwester zu tun habe. «Kannst du sie nicht selbst unterrichten?»
«Mein Englisch ist dafür nicht gut genug.» Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern. «Und sie mag es nicht, wenn ich ihr sage, was sie tun soll.»
«Was sagt dein Vater dazu?»
«Er wird keine
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