Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
ländlichen Tanz und verschafften sich im Wirbel ihres Übermuts dafür den Platz. Das fête d’hiver war jetzt wirklich ein Volksfest.
»Noel! Noel ... «
Das kam dort hinten aus der Gasse - von dort her hallten die Schreie! Holcroft rannte wie wild los und riß fast ein Liebespaar um, das sich an eine Mauer gelehnt umarmte. Dort.
»Noel!«
Er befand sich jetzt in einer Nebenstraße zwischen dreistöckigen Häusern. Er rannte die Straße hinunter, hörte wieder den Schrei, aber keine Worte, keinen Namen, nur einen Schrei, den ein dumpf klatschender Schlag abriß, der wieder einen Schmerzensruf auslöste.
O Gott, er mußte sie finden -
Eine Tür! Eine Tür stand halb offen; das war der Eingang zum vierten Haus zu seiner Rechten. Von dort war der Schrei gekommen!
Er rannte darauf zu und erinnerte sich an die Pistole in seiner Tasche. Er zog sie heraus. Während er sie unbeholfen in der Hand hielt, fiel ihm ein, daß er die Waffe bis jetzt überhaupt noch nicht richtig angesehen hatte. Das tat er jetzt, und einen Augenblick lang war er verblüfft und starrte sie an.
Er verstand wenig von Pistolen, aber diese hier kannte er. Es war eine Budischowsky-TP-70-Selbstladepistole, dasselbe Modell, das Sam Buonoventura ihm in Costa Rica besorgt hatte. Der Zufall verlieh ihm keineswegs Zuversicht, vielmehr machte er ihm übel. Das war nicht seine Welt.
Er überprüfte die Sicherung und zog die Tür auf, darauf bedacht, daß man ihn von innen nicht sehen konnte. Drinnen war ein langer, schmaler, schwach beleuchteter Gang zu erkennen. An der linken Wand, in einem Abstand von knapp vier Metern, waren zwei Türen. Vermutlich gab es auf der rechten Seite ebenfalls zwei Türen; aber von seinem Standpunkt aus waren sie nicht zu sehen.
Er stürmte mit erhobener Waffe hinein. Da waren die zwei Türen in der rechten Wand. Vier Türen insgesamt. Hinter einer von ihnen wurde Helden gefangengehalten. Aber hinter welcher? Er ging zur ersten Tür links und legte sein Ohr dagegen.
Ein kratzendes Geräusch war zu hören, unregelmäßig, ihm nicht vertraut. Er hatte keine Ahnung, was es war. Stoff, Tuch... das Zerreißen von Stoff? Er legte die Hand auf die Türklinke und drückte sie nieder; die Türe schwang nach innen, und er öffnete sie, hielt die Waffe schußbereit.
In dem dunklen Raum kniete eine alte Frau auf dem Boden und schrubbte ihn. Er sah ihr Profil, ihre hageren Züge waren
eingefallen, und ihr Arm arbeitete in Kreisen auf dem weichen Holz. Sie war so alt, daß sie ihn weder sah noch hörte. Er schloß die Tür.
An die Tür zur Rechten war ein schwarzes Band genagelt. Jemand war hinter dieser Tür gestorben; die Familie trauerte. Ein Tod hinter dieser Tür. Der Gedanke zerrte an seinen Nerven; er lauschte mit angehaltenem Atem...
Das war es! Ein Handgemenge. Schwerer Atem, dumpfe Bewegungen; hinter dieser Tür herrschte Verzweiflung. Helden war hinter dieser Tür!
Noel trat zurück, die Waffe wieder im Anschlag, den rechten Fuß angehoben. Er atmete tief durch und trat dann mit dem Fuß, so als wäre er eine Ramme, in das Holz links von der Türklinke. Die Wucht des Aufpralls ließ die Tür nach innen krachen.
Drinnen lagen auf einem schmutzigen Bett zwei nackte Halbwüchsige, ein dunkelhaariger Junge über einem dicken, blonden Mädchen. Das Mädchen hatte die Beine gespreizt und reckte sie zur Decke, und der Junge lag dazwischen, beide Hände an ihren Brüsten. Auf das Krachen und beim Anblick des Fremden schrie das Mädchen. Der Junge wälzte sich von ihr herunter, wälzte sich auf dem Boden. Der Mund stand ihm im Schreck offen.
Das Krachen! Das Krachen war ein Alarm. Holcroft rannte in den Korridor und hetzte auf die nächste Tür zur Linken los. Jetzt war für nichts anderes Zeit als dafür, Helden zu finden. Er warf sich mit der Schulter gegen die Tür, drückte ungeschickt mit der linken Hand die Klinke nieder, während die Rechte die Waffe umfaßt hielt. Doch es hätte keiner Gewalt bedurft. Die Tür gab nach.
Noel stand unter dem Türrahmen und schämte sich einen Augenblick lang. An der Wand neben dem Fenster war ein blinder Mann zu sehen. Es war ein alter Mann, und er zitterte jetzt wegen der unsichtbaren, unbekannten Gewalt, die in die finstere Abgeschiedenheit seiner Welt eingedrungen war.
»Nom de Dieu ... «, flüsterte er und hielt sich die Hände vors Gesicht.
Aus dem Korridor waren jetzt hastige Schritte zu hören,
Schritte, die lauter wurden - die Geräusche eines Mannes, der es nicht nur
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