Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Von Schüssen in einer Seitenstraße einer abgelegenen französischen Ortschaft niedergestreckt, während eines Volksfestes. Wahnsinn.
»Was meinen Sie, daß >Wolfsschanze< bedeutet?« fragte Helden.
»Ich weiß, was es bedeutet«, sagte er.
Sie drehte sich überrascht zu ihm herum.
Er sagte es ihr - alles, was er über die Überlebenden der Wolfsschanze wußte. Es brachte nichts, jetzt die Tatsachen vor ihr zu verbergen. Als er geendet hatte, blieb sie stumm. Er fragte sich, ob er sie zu weit getrieben hatte. In einen Konflikt vielleicht, mit dem sie nichts zu tun haben wollte. Erst vor ein paar Tagen hatte sie zu ihm gesagt, sie würde, wenn er ihren Instruktionen nicht folgte, wenn er nicht derjenige war, der er zu sein behauptete, Paris verlassen, und er fände sie dann nie. Würde sie das jetzt tun? War die Drohung der Wolfsschanze jene letzte Bürde, die sie nicht auf sich nehmen konnte?
»Haben Sie Angst?« fragte er.
»Das ist eine törichte Frage.«
»Ich glaube, Sie wissen, was ich meine.«
»Ja.« Sie lehnte den Kopf im Sitz zurück. »Sie wollen wissen, ob ich jetzt weglaufe.«
»Ja, ich denke, das ist es. Werden Sie?«
Sie gab ein paar Augenblicke lang keine Antwort, und er bedrängte sie auch nicht. Als sie dann sprach, hallte Traurigkeit in ihrer Stimme nach - wie bei ihrer Schwester, und doch so völlig anders. »Ich kann ebensowenig weglaufen, wie Sie das können. Ganz abgesehen von Pflichtgefühl und Furcht, es hätte einfach keinen Sinn, oder? Die würden uns finden. Und uns töten.«
»Reichlich pessimistisch.«
»Nur realistisch. Außerdem bin ich es müde, immer wegzulaufen. Ich habe keine Kraft mehr dazu. Die RACHE, die ODESSA, und jetzt die Wolfsschanze. Drei Jäger, die sich
gegenseitig beschleichen und uns auch. Das muß ein Ende haben. Darin hat der Oberst recht.«
»Ich bin gestern nachmittag zum gleichen Schluß gelangt. Mir wurde plötzlich klar, daß ich, wenn meine Mutter nicht wäre, mit Ihnen wegliefe. «
»Heinrich Clausens Sohn«, sagte Helden nachdenklich.
»Und noch der Sohn eines anderen.« Er erwiderte ihren Blick. »Sind wir einer Meinung? Wir nehmen mit diesem Payton-Jones keine Verbindung auf?«
»Wir sind einer Meinung.« «
»MI-5 sucht uns. Sie haben keine Wahl. Sie hatten einen Mann auf uns angesetzt. Sie werden erfahren, daß man ihn getötet hat. Man wird uns Fragen stellen.«
»Die wir nicht beantworten können. Man hat uns verfolgt; nicht umgekehrt. «
»Ich frage mich, wer sie waren? Die zwei Männer«, sagte er.
»Die RACHE, würde ich meinen. Das ist ihr Stil.«
»Oder die ODESSA.«
»Möglich. Aber das Deutsch, das der eine sprach, der mich in seiner Gewalt hatte, klang seltsam. Ein Dialekt, der mir fremd war. Er war kein Münchner, und ganz sicher kein Berliner. Es klang ganz eigenartig.«
»Wie meinen Sie das?«
»Seine Sprache klang sehr kehlig, aber dennoch weich, wenn Sie sich das vorstellen können.«
»Nicht recht. Dann meinen Sie, daß die Männer von der RACHE waren?«
»Ist das wichtig? Wir müssen uns vor beiden schützen. Es hat sich nichts geändert. Für mich wenigstens nicht.« Sie griff herüber und berührte seinen Arm. »Aber Ihretwegen tut es mir leid.«
»Warum?«
»Weil Sie jetzt mit uns auf der Flucht sind. Sie sind jetzt eines der Kinder - der Kinder der Verdammten. Und Sie sind nicht ausgebildet worden.«
»Mir scheint, ich mache gerade einen Schnellkurs durch.«
Sie zog ihre Hand zurück. »Sie sollten nach Berlin.«
»Ich weiß. Wir müssen uns beeilen. Ich muß Kessler erreichen
und dazu bringen, daß er sich uns anschließt; er ist der letzte, der -« Holcroft hielt inne »- der Nachkommen. «
Sie lächelte über das Wort, ein trauriges Lächeln. »Da sind Sie, und da ist mein Bruder; beide gut informiert, beide zum Handeln bereit. Kessler muß auch dazu gebracht werden... Es geht um Zürich. Und die Lösung des Ganzen bedeutet so viel. «
Noel sah zu ihr hinüber. Es gehörte nicht viel dazu, ihre Gedanken zu lesen. Zürich bedeutete unvorstellbare Mittel; ohne Zweifel würde man einen Teil dieser Mittel dazu verwenden, die Fanatiker der ODESSA und der RACHE zu zügeln, wenn nicht zu eliminieren. Holcroft wußte, daß sie wußte, daß er selbst das Schreckliche miterlebt hatte; sie brauchte es nur zu sagen, und ein Drittel des Stimmrechts gehörte ihr. Ihr Bruder würde einverstanden sein.
»Wir werden dafür sorgen, daß es klappt«, sagte er. »Sie können bald aufhören, wegzulaufen. Wir alle
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