Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Der Schalldämpfer war nicht angebracht, aber das war nicht nötig. Er hatte nicht die geringste Absicht, die Waffe abzufeuern. Sie sollte als sichtbare Drohung dienen, und zunächst nicht einmal als das.
Er brauchte nicht lange zu warten. Er konnte rennende Schritte hören, und während er sie hörte, dachte er, daß
auch die Feinde die Vorzüge von gummibesohlten Schuhen zu schätzen wußten.
Der Mann rannte vorbei, dann, als ahnte er einen Trick, verlangsamte er seinen Lauf und sah sich in den Schatten um. Noel trat aus seiner verborgenen Ecke hervor, die Hand in der Jackentasche.
»Ich habe auf Sie gewartet. Bleiben Sie stehen, wo Sie sind.« Er sprach eindringlich, erschrak vor seinen eigenen Worten. »Ich habe eine Waffe in der Hand. Ich will sie nicht gebrauchen, aber wenn Sie versuchen wegzulaufen, tu ich es.«
»Vor zwei Tagen in Frankreich haben Sie nicht gezögert«, sagte der Mann mit ausgeprägtem Akzent. Seine Ruhe war entnervend. »Warum sollte ich glauben, daß Sie jetzt anders handeln? Sie sind ein Schwein. Sie können mich töten, aber irgendwann kriegen wir Sie.«
»Wer sind Sie?«
»Ist das wichtig? Sie sollen nur wissen, daß wir Sie kriegen werden.«
»Sie kommen von der RACHE, nicht wahr?«
Trotz der Dunkelheit konnte Noel im Gesicht des Mannes einen Ausdruck der Verachtung erkennen. »Die RACHE?« sagte er. »Terroristen ohne Ziel, Revolutionäre, die keiner in seinem Lager will. Schlächter. Ich habe nichts mit der RACHE zu tun!«
»Also die ODESSA.«
»Das würde Ihnen gefallen, oder?«
»Was meinen Sie?«
»Sie werden die ODESSA benutzen, wenn die Zeit gekommen ist. Man kann ihr so viel in die Schuhe schieben. Sie können so leicht in ihrem Namen töten. Ich nehme an, die Ironie an dem Ganzen ist, daß wir die ODESSA ebenso schnell erledigen könnten, wie Sie das könnten. Aber Sie sind diejenigen, die wir haben wollen; wir kennen den Unterschied zwischen Clowns und Ungeheuern. Glauben Sie mir, wir werden Sie stoppen.«
»Das gibt doch keinen Sinn! Sie gehören nicht zur Wolfsschanze. Unmöglich!«
Der Mann senkte die Stimme. »Aber wir sind doch alle Teil
der Wolfsschanze, oder nicht? Auf die eine oder andere Art«, sagte er, und seine Augen blickten herausfordernd. »Ich sage es noch einmal. Sie können mich töten. Aber dann wird ein anderer an meine Stelle treten. Und wenn Sie ihn töten, dann wieder einer an die seine. Wir werden Sie stoppen. Schießen Sie also, Herr Clausen. Oder sollte ich sagen, Sohn von Gruppenführer Heinrich Clausen?«
»Wovon, zum Teufel, reden Sie denn? Ich will Sie nicht erschießen. Ich will überhaupt niemanden töten!«
»In Frankreich haben Sie getötet.«
»Wenn ich dort einen Menschen getötet habe, dann, weil er versucht hat, mich zu töten. «
»Aber natürlich, Herr Clausen.«
»Hören Sie auf, mich so zu nennen.«
»Warum? Das ist doch Ihr Name, oder?«
»Nein! Mein Name ist Holcroft.«
»Natürlich«, sagte der Mann. »Das war Teil des Plans. Der angesehene Amerikaner, ohne erkennbare Bindungen an seine Vergangenheit. Und wenn denen jemand nachginge, dann wäre es zu spät.«
»Wofür zu spät? Wer sind Sie? Wer hat Sie geschickt?«
»Das können Sie nicht aus mir herauspressen. Wir sind nicht Teil Ihres Planes.«
Holcroft zog die Pistole und trat näher. »Was für ein Plan?« fragte er, in der Hoffnung, etwas zu erfahren. Irgend etwas.
»Genf. «
»Was ist mit Genf? Das ist eine Stadt in der Schweiz.«
»Wir wissen alles, und es ist Schluß. Sie werden die Adler nicht aufhalten. Nicht dieses Mal. Wir werden Sie stoppen!«
»Adler? Was für Adler? Wer ist >wir«
»Niemals! Drücken Sie doch ab. Ich werde es Ihnen nicht sagen. Sie werden uns nicht aufspüren.«
Noel schwitzte, obwohl die Winternacht kalt war. Nichts, was dieser Feind sagte, gab einen Sinn. Möglicherweise war ein ungeheurer Fehler gemacht worden. Der Mann vor ihm war bereit zu sterben, aber er war kein Fanatiker, dafür lauerte hinter seinen Augen zu viel Intelligenz. »Sie gehören nicht zur RACHE, nicht zur ODESSA. Warum, zum Teufel,
wollen Sie sich also gegen Genf stellen? Wolfsschanze will das nicht, das müssen Sie wissen!«
»Nicht Ihre Wolfsschanze. Aber wir können dieses Vermögen sehr nutzbringend einsetzen.«
»Nein! Wenn Sie dazwischenfunken, gibt es gar nichts. Sie werden das Geld nie bekommen.«
»Wir beide wissen, daß das nicht so zu sein braucht.«
»Da irren Sie! Dann wandert das Geld wieder für dreißig Jahre unter die
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