Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
vergnügt.
»Mister Holcroft?«
»Doktor Kessler?«
»Setzen Sie sich, setzen Sie sich.« Kessler wollte sich erheben, während er dem Amerikaner die Hand hinstreckte, aber sein Bauch stieß gegen die Tischplatte und vereitelte die Absicht. Er lachte und sah den Geschäftsführer an. »Nächste Woche! Ja, Rudi! Unsere Diät!«
»Ach, natürlich, Herr Professor.«
»Das ist mein neuer Freund aus Amerika. Mr. Holcroft.«
»Ja, wir haben uns schon bekannt gemacht.«
»Ja, freilich. Sie haben mir ja seinen Aktenkoffer gegeben. «
Kessler tippte auf Noels Diplomatenkoffer, der neben ihm
auf dem Sitz stand. »Ich nehme Scotch. Halten Sie mit, Mr. Holcroft?«
»Einverstanden. Bloß Eis.«
Der Geschäftsführer nickte und ging. Noel ließ sich im Stuhl nach hinten sinken. Von Kessler ging eine müde Wärme aus; Ausdruck der Toleranz eines Gebildeten, der beständig kleineren Geistern ausgesetzt, aber zu freundlich war, Vergleiche anzustellen. Holcroft kannte einige Männer seiner Art. Darunter auch die besten Lehrer, die er gehabt hatte. Er fühlte sich in der Gesellschaft Erich Kesslers wohl; das war ein guter Anfang.
»Vielen Dank, daß Sie sich mit mir verabredet haben. Ich habe Ihnen viel zu sagen.«
»Verschnaufen Sie erst«, sagte Kessler. »Trinken Sie einen Schluck. Beruhigen Sie sich.«
»Was?«
»Sie haben was hinter sich. Das steht Ihnen im Gesicht geschrieben.«
»Sieht man das so deutlich?«
»Ich würde sagen, daß Sie verstört sind, Mr. Holcroft. «
»Sagen Sie Noel. Bitte. Wir sollten einander näher kennenlernen. «
»Das wird sicher nett. Ich heiße Erich. Draußen ist es kühl. Zu kalt, um ohne Mantel zu gehen. Und doch sind Sie offensichtlich ohne einen Mantel gekommen. Hier ist keine Garderobe.«
»Ich trug einen. Ich mußte ihn loswerden. Das werde ich Ihnen erklären.«
»Das brauchen Sie nicht.«
»Ich fürchte doch. Ich wünschte, es wäre nicht so, aber das ist ein Teil meiner Geschichte.«
»Aha. Ah, hier ist Ihr Scotch.«
Ein Kellner stellte das Glas ab, trat dann zurück und zog den rotkarierten Vorhang vor die Nische.
»Wie gesagt, das gehört zu der Geschichte.« Noel trank.
»Lassen Sie sich Zeit. Es eilt nicht.«
»Sie sagten, Sie hätten Gäste im Haus.«
»Einen Gast. Einen Freund meines Bruders aus München. Ein reizender Mensch, aber er redet zuviel. Das ist eine
Eigenschaft, die bei Ärzten nicht ungewöhnlich ist. Sie haben mich heute abend gerettet. «
»Wird Ihre Frau nicht verstimmt sein?«
»Ich bin nicht verheiratet. Das war ich einmal, aber ich fürchte, das Universitätsleben hat sie zu sehr eingeengt.«
»Das tut mir leid.«
»Ihr nicht. Sie hat einen Akrobaten geheiratet. Können Sie sich das vorstellen? Aus akademischen Gefilden in die erhabenen Höhen des Trapezes. Wir sind immer noch gute Freunde. «
»Ich glaube, daß es recht schwierig sein muß, zu Ihnen nicht freundlich zu sein.«
»Oh, in den Hörsälen gelte ich als schrecklich. Ein wahrer Löwe. «
»Der zwar brüllt, aber nicht beißt«, sagte Noel.
»Wie bitte?«
»Nichts. Ich habe mich nur an ein Gespräch gestern abend erinnert.«
»Fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Das ist komisch.«
»Was?«
»Das habe ich gestern abend jemanden gefragt.«
Kessler lächelte. »Ihr Gesicht wirkt auf einmal ganz gelokkert. Wollen Sie jetzt vielleicht etwas essen?«
»Noch nicht. Ich würde gerne anfangen; es gibt vieles, was ich Ihnen erzählen muß. Sie werden eine Menge Fragen haben.«
»Dann werde ich gut zuhören. Oh, das habe ich vergessen. Ihre Tasche.« Der Deutsche griff neben sich und stellte den Aktenkoffer auf den Tisch.
Holcroft sperrte ihn auf, öffnete ihn aber nicht. »Da sind Papiere, die Sie wahrscheinlich studieren wollen. Sie sind nicht vollständig, aber sie können als Bestätigung für einiges dienen, was ich Ihnen sagen will.«
»Bestätigung? Ist das, was Sie mir erzählen müssen, so schwer zu akzeptieren?«
»Vielleicht«, sagte Noel. Dieser freundliche Gelehrte tat ihm leid. Die friedliche Welt, in der er lebte, würde zusammenbrechen. »Was ich Ihnen jetzt sage, wird möglicherweise
einen Einschnitt in Ihr Leben bedeuten, so wie es für das meine einer war. Ich glaube nicht, daß sich das vermeiden läßt. Zumindest ich konnte es nicht vermeiden, weil ich es nicht fertiggebracht habe, einfach davonzulaufen. Zum Teil aus egoistischen Gründen; es geht um einen beträchtlichen Geldbetrag, der mir persönlich zufallen wird – genau wie Ihnen auch. Aber es
Weitere Kostenlose Bücher