Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Die RACHE auch nicht. Das gehört zu den Dingen, die ich in Berlin erfahren habe. Es ist zweifelhaft, ob jemand von denen überhaupt über Genf Bescheid weiß.«
Helden war verblüfft. »Aber was ist mit Beaumont? Du hast gesagt, er gehöre zur ODESSA, er sei dir nach Rio gefolgt.«
»Das glaube ich immer noch, und er ist mir auch gefolgt, aber nicht wegen Genf. Es hängt mit Graff zusammen. Irgendwie hat er herausgefunden, daß ich Johann von Tiebolt suche. Deshalb ist er mir gefolgt. Nicht wegen Genf. Morgen, wenn ich mit deinem Bruder spreche, werde ich mehr wissen. Außerdem wird Beaumont in ein paar Tagen keine Rolle mehr spielen. Kessler wird dafür sorgen. Er hat gesagt, er ruft jemand in Bonn an, von der Regierung.«
»So einfach ist das?«
»Jedenfalls nicht schwierig. Die leiseste Anspielung auf ODESSA, besonders in Militärkreisen, löst sofort eine Unmenge von Anfragen aus. Man wird Beaumont aus dem Verkehr ziehen.«
»Wenn es nicht die ODESSA oder die RACHE ist, wer ist es dann?«
»Das ist ein Teil von dem, was ich dir erzählen muß. Ich mußte den Dufflecoat und die Mütze loswerden.«
»Oh?« Sein plötzlicher Themawechsel verwirrte Helden.
Er erzählte es ihr, spielte aber die Auseinandersetzung in der dunklen Gasse herunter. Dann schilderte er das Gespräch mit Kessler und erkannte, als er zum Ende kam, daß er den Mord an dem unbekannten Mann in der Lederjacke nicht auslassen durfte. Er würde das morgen ihrem Bruder sagen;
es jetzt Helden vorzuenthalten, hätte wenig Sinn. Als er geendet hatte, schauderte sie und preßte die Finger in die Handfläche.
»Wie schrecklich. Hatte Kessler eine Ahnung, wer der Mann war, woher er kam?«
»Nein. Wir haben alles, was er sagte, ein halbes dutzendmal von allen Seiten analysiert und versucht, uns einen Reim darauf zu machen. Aber so viel war da gar nicht. Nach Kesslers Ansicht gehörte er einer Gruppe von Neonazis an — Abkömmlingen der Partei, hat Kessler sie genannt. Eine Splittergruppe, die mit der ODESSA verfeindet ist.«
»Wie können die von dem Konto in Genf erfahren haben?«
»Das habe ich Kessler auch gefragt. Er sagte, die Manipulationen, deren es bedurfte, um das Geld aus Deutschland herauszuschaffen, könnten unmöglich so geheim geblieben sein, wie wir annehmen; er meinte, jemand hätte irgendwie davon erfahren.«
»Aber die Geheimhaltung ist doch die Grundlage von Genf. Ohne die bricht alles zusammen.«
»Das ist eine Frage des Ausmaßes. Wann ist ein Geheimnis ein Geheimnis? Wo hört die vertrauliche Information auf und wo fängt das Geheimdokument an? Eine Handvoll Leute hat etwas über Genf erfahren und will uns daran hindern, das Geld zu bekommen und es so einzusetzen, wie es vorgesehen war. Sie wollen es für sich selbst, also werden sie es nicht an die große Glocke hängen.«
»Aber wenn sie schon so viel erfahren haben, dann wissen sie auch, daß sie nicht herankönnen.«
»Nicht unbedingt.«
»Dann sollte man es ihnen sagen!«
»Das habe ich dem Mann in der Gasse gesagt. Ich konnte ihn nicht überzeugen. Und selbst wenn es mir gelungen wäre, würde das jetzt keinen Unterschied machen.«
»Aber begreifst du denn nicht? Jemand muß an diese Leute herantreten — wer auch immer sie sind — und sie davon überzeugen, daß es ihnen nichts einbringt, wenn sie dich und meinen Bruder und Erich Kessler stoppen.«
Holcroft trank einen Schluck. »Ich bin nicht sicher, daß wir das tun sollen. Kessler hat etwas gesagt, das mich beunruhigte.
Und es beunruhigt mich immer noch. Er sagte, wir — und unter >wir< verstand er, glaube ich, all diejenigen von uns, die das Thema nicht so gründlich studiert haben — wir hätten die echten Nazis nie begriffen. Vom Standpunkt der Nazis aus sei es nicht nur eine Frage, welchen Nutzen sie selbst daraus ziehen könnten; für die Nazis sei es ebenso wichtig, daß andere keinen Nutzen haben. Kessler hat es ihr >destruktives Wesen< genannt.«
Helden runzelte wieder die Stirn. »Also werden sie, sobald sie es erfahren haben, Jagd auf euch machen. Sie werden euch alle drei töten, weil es ohne euch kein Genf geben kann.«
»Wenigstens eine Generation lang. Das reicht als Motiv. Das Geld bleibt auf weitere dreißig Jahre im Safe.«
Heldens Hand fuhr an ihren Mund. »Augenblick; da ist etwas Schreckliches, etwas, das nicht stimmt. Sie haben versucht, dich zu töten. Dich. Von Anfang an... dich.«
Holcroft schüttelte den Kopf. »Das wissen wir nicht bestimmt -«
»Nicht bestimmt? «
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