Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
unterbrach ihn Helden. »Mein Gott, was willst du denn noch mehr? Du hast mir dein Jackett gezeigt. Und dann das Strychnin im Flugzeug, die Schüsse in Rio. Was willst du denn noch?«
»Ich will wissen, wer wirklich hinter all dem steckt. Deshalb muß ich mit deinem Bruder sprechen.«
»Was kann dir Johann denn sagen?«
»Wen er in Rio getötet hat.« Helden wollte Einwände erheben; aber er nahm ihre Hand. »Laß mich das erklären. Ich glaube, wir stehen da — ich stehe da ... zwischen zwei Auseinandersetzungen, die nichts miteinander zu tun haben. Was deinem Bruder in Rio zugestoßen ist, hat überhaupt nichts mit Genf zu tun. Und in dem Punkt habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe alles mit Genf in Verbindung gebracht. Und das war falsch; das ist ein völlig separater Vorgang.«
»Ich habe doch versucht, dir das klarzumachen«, sagte Helden.
»Ich habe es nicht begriffen. Aber dann mußt du auch bedenken, daß bis vor wenigen Wochen noch niemand auf mich geschossen oder versucht hat, mich zu vergiften oder mir ein Messer in den Leib zu rennen. Solche Dinge bringen
einen durcheinander, hindern einen am klaren Denken. Mir geht es wenigstens so.«
»Johann ist ein Mensch mit vielen Interessen, Noel«, sagte sie. »Er kann sehr charmant sein, sehr nett, aber er kann auch schweigsam sein. Das ist ein Teil seiner Persönlichkeit. Er hat ein seltsames Leben gelebt. Manchmal wirkt er so unstet auf mich. Er hetzt von einem Ort zum nächsten, von einer Sache zur anderen, macht alles, was er tut, mit Elan und hinterläßt überall seine Spuren, ohne jemals zu wollen, daß man ihn daran erkennt. «
»>Er ist hier, er ist dort, er ist überall.< Das klingt ja gerade wie eine Gestalt aus einem der klassischen Abenteuerromane. Mir fallen da Geschichten wie Das scharlachrote Siegel ein.«
»Genau. Es kann durchaus sein, daß Johann dir nicht sagt, was in Rio geschehen ist.«
»Das muß er. Ich muß es wissen.«
»Da es nichts mit Genf zu tun hat, ist er da vielleicht anderer Ansicht.«
»Dann werde ich versuchen, ihn zu überzeugen. Wir müs sen herausfinden, wie gefährdet er ist.«
»Nehmen wir einmal an, er sei wirklich gefährdet. Was geschieht dann weiter?«
»Das würde ihn für Genf disqualifizieren. Wir wissen, daß er jemanden getötet hat. Du selbst hast gehört, wie ein Mann - ein wohlhabender, einflußreicher Mann, dachtest du — sagte, er wünsche, dein Bruder werde wegen Mordes gehenkt. Ich weiß, daß er sich mit Graff angelegt hat, und das bedeutet: mit der ODESSA. Er mußte fliehen. Er hat dich und deine Schwester mitgenommen, aber geflohen ist er, um sein Leben zu retten. Er ist in eine Menge Schwierigkeiten verwikkelt; Leute sind hinter ihm her, und die Vermutung liegt doch nicht fern, daß man ihn erpressen könnte. Und das könnte Genf ins Wanken bringen; alles zunichte machen.«
»Müssen die Bankiers es erfahren?« fragte Helden.
Noel berührte ihre Wange, zwang sie, ihn anzusehen. »Ich müßte es ihnen sagen. Es geht hier um siebenhundertundachtzig Millionen Dollar; um drei Männer, die etwas Außergewöhnliches getan haben. Das war ihre geschichtliche Tat; das glaube ich wirklich. Wenn dein Bruder das gefährdet
oder auch nur zum Anlaß würde, daß man das Geld mißbraucht, dann ist es vielleicht besser, daß diese Millionen verwahrt bleiben für die nächste Generation. Aber es braucht nicht so zu sein. Nach dem Vertrag bist du diejenige, die den Willen von Tiebolts erfüllen soll.«
Helden sah ihn an. Er las die Entschlossenheit in ihren Augen. »Das kann ich nicht akzeptieren, Noel. Es muß Johann sein. Nicht nur, weil er viel besser qualifiziert ist als ich, sondern auch, weil er es verdient. Das darf ich ihm nicht wegnehmen.«
»Und ich darf es ihm nicht geben. Nicht, wenn er den Vertrag gefährden könnte. Aber lassen wir das, bis ich mit ihm gesprochen habe.«
Sie sah ihn musternd an; er wurde verlegen. Jetzt nahm sie seine Hand von ihrer Wange und hielt sie fest. »Die Pflichterfüllung geht dir über alles, nicht wahr?«
»Nicht unbedingt. Ich bin nur zornig. Mich widert die Korruption in den höchsten Kreisen der Finanz an. In meinem Land hat es davon eine ganze Menge gegeben.«
»>In den höchsten Kreisen der Finanz«
»Das ist eine Formulierung, die mein Vater in seinem Brief an mich gebraucht hat.«
»Das ist seltsam«, sagte Helden.
»Was ist seltsam?«
»Du hast ihn immer Clausen genannt, oder Heinrich Clausen. Förmlich und sehr distanziert.«
Holcroft
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