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Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag

Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag

Titel: Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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können.«
     
    Helden verließ den Zug in Neuchâtel. Sie stand auf dem Bahnsteig und paßte ihre Augen dem grellen Sonnenlicht an, das sich im Dach des Bahnhofs spiegelte. Sie wußte, daß sie sich unter die Menge mischen sollte, die den Zug verließ, aber einen Augenblick lang mußte sie stillstehen und tief durchatmen. Sie hatte die letzten drei Stunden in der Finsternis eines Güterwagens verbracht, versteckt hinter Kisten mit Maschinen. In Besancon war eine Tür für exakt sechzig Sekunden auf elektronischem Wege geöffnet worden, und sie war hineingegangen. Exakt fünf Minuten vor Mittag hatte sich die Tür wieder geöffnet; sie hatte Neuchâtel ungesehen erreicht. Ihre Beine schmerzten, und in ihren Schläfen tobte es, aber sie hatte es geschafft. Es hatte sehr viel Geld gekostet.
    Die frische Luft füllte ihre Lungen. Sie nahm ihren Koffer und ging auf den Ausgang zu. Das Dorf Pres-du-Lac lag an der Westseite des Sees, keine dreißig Kilometer südlich. Sie fand einen Taxifahrer, der bereit war, sie hinzubringen.
    Die Fahrt war holprig, und es ging durch viele Kurven, aber für sie war es wie ein ruhiges, schwebendes Dahingleiten. Sie blickte zum Fenster hinaus auf die vorbeieilenden Hügel und die blauen Wellen des Sees. Die herrliche Landschaft vermittelte ihr den Eindruck, als wäre alles angehalten. Sie schenkte ihr die wertvollen Augenblicke, die sie brauchte, um den Versuch des Verstehens zu unternehmen. Was hatte der Oberst gemeint, als er schrieb, er habe es so eingerichtet, daß sie in seiner Nähe sei, weil er glaubte, sie sei >die Abgesandte eines Feindesdreißig Jahre gewartet hatte    Was hatte sie getan? Oder nicht getan? War es wieder das schreckliche Dilemma? Für das verdammt, was sie war, und
für das verdammt, was sie nicht war? Wann, um Gottes willen, würde das alles aufhören?
    Der Oberst wußte, daß er sterben würde. Er hatte sie auf den Fall seines Todes vorbereitet, hatte sichergestellt, daß sie über Geld verfügte, um diese geheime Reise in die Schweiz zu finanzieren, zu einem Mann namens Werner Gerhardt in Neuchâtel. Wer war er? Was war er für Falkenheim, daß man ihn nur nach dem Tod des Obersten aufsuchen durfte?
    Die Münze der Wolfsschanze hat zwei Seiten.
    Der Taxifahrer riß sie aus ihren Gedanken. »Die Gaststätte ist dort unten am Ufer«, sagte er. »Als Hotel nichts Besonderes. «
    »Es wird genügen, ganz sicher.«
    Ihr Zimmer ging auf den See hinaus. Es war so friedlich hier, daß Helden sich versucht fühlte, sich ans Fenster zu setzen und bloß über Noel nachzudenken, weil ihr, wenn sie über ihn nachdachte, so ... behaglich ... zumute war. Aber es galt, einen Werner Gerhardt zu finden. Im Telefonverzeichnis von Pres-du-Lac gab es den Namen nicht. Weiß Gott, wann es zum letztenmal überarbeitet worden war. Aber das Dorf war nicht groß; sie würde als erstes den Portier fragen. Vielleicht kannte er den Namen.
    Das tat er auch, aber nicht auf eine beruhigende Weise.
    »Der verrückte Gerhardt?« sagte der korpulente Mann, der in einem Korbsessel hinter dem Tresen saß. »Sie überbringen ihm Grüße von alten Freunden? Besser, Sie hätten ein Mittel, das sein wirres Gehirn etwas in Ordnung bringt. Er wird kein Wort von dem verstehen, was Sie ihm sagen.«
    »Das wußte ich nicht«, erwiderte Helden, von einem Gefühl der Verzweiflung überwältigt.
    »Sie werden es ja selbst sehen. Es ist Nachmittag, und der Tag ist kühl, aber die Sonne scheint. Er sitzt ohne Zweifel auf dem Dorfplatz und singt seine kleinen Liedchen und füttert die Tauben. Die machen ihm die Kleider schmutzig, aber das merkt er nicht.«
    Sie sah ihn auf der steinernen Umrandung des kreisförmigen Brunnens auf dem Dorfplatz sitzen. Er schien die Passanten überhaupt nicht wahrzunehmen, die immer wieder Blicke auf ihn warfen, häufiger Blicke des Ekels als des Mitleids.
Seine Kleider waren ausgefranst und der zerschlissene Mantel mit Taubenkot besudelt; wie es der Portier vorhergesagt hatte. Er war ebenso alt und so krank wie der Oberst, aber viel kleiner und im Gesicht und am Körper aufgedunsen. Seine Haut war fahl und faltig und von roten, aufgeplatzten Äderchen gesprenkelt. Und er trug eine dicke Nickelbrille, die im Rhythmus seines zitternden Kopfes hin und her wackelte. Seine Hände zitterten, als er in eine Tüte griff und Brotkrumen herausholte und sie auf dem Boden verstreute und damit

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