Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
zu zahlen pflegten.
Nur ein einziges Mal hatte sie Gefühle gezeigt, und das war vier Minuten nach Avignon in Richtung auf Saint-Vallier, als die kleine Maschine in einen gefährlichen Hagelsturm geraten war.
»Es könnte sein, daß das Wetter für dieses leichte Flugzeug zu viel ist«, sagte der Pilot. »Es wäre klüger, umzukehren.«
»Fliegen Sie darüber hinweg.«
»Dafür reicht unsere Kraft nicht aus, und wir haben keine Ahnung, wie ausgedehnt die Hagelfront ist.«
»Dann fliegen Sie durch. Ich zahle nicht nur für den Transport, sondern auch für die Einhaltung des Zeitplans. Ich muß heute abend in Genf sein.«
»Wenn wir notlanden müssen, würde uns eine der Streifen festnehmen. Unser Flug ist nicht registriert.«
»Wenn wir auf dem Fluß notlanden müssen, dann bezahle
ich die Strafe. Man hat sie an der Grenze in Port-Bou ebenfalls bezahlt; das geht wieder. Weiter.«
»Und wenn wir abstürzen, Madame?«
»Stürzen Sie eben nicht ab.«
Unter ihnen wurden in der Dunkelheit die Leuchtfeuer von Chambery der Reihe nach entzündet, eine Reihe nach der anderen. Der Pilot ließ die Maschine nach links abkippen und kreiste dann zum Landeanflug nach unten. Sekunden später setzten sie auf.
»Sie sind gut«, sagte die wertvolle Ladung und schnallte sich los. »Ist mein nächster Pilot Ihnen ebenbürtig?«
»Genausogut, Madame. Und dann hat er noch einen Vorteil. Er kennt sämtliche Radarpunkte auf hundert Meter genau, auch in der Dunkelheit. Für solches Expertentum muß man bezahlen. «
»Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte Althene.
Das Wasserflugzeug startete um Punkt zehn Uhr siebenundfünfzig gegen den Nachtwind. Der Flug über die Grenze bei Versoix würde in sehr geringer Höhe stattfinden und sehr wenig Zeit in Anspruch nehmen, höchstens zwanzig Minuten bis eine halbe Stunde. Es war die Spezialistenetappe der Reise, und der Spezialist im Cockpit war ein muskulöser Mann mit rotem Bart und schütterem rotem Haar. Er kaute eine halbgerauchte Zigarre, und sein Englisch hatte den harten Akzent, den man mit Elsaß-Lothringen in Verbindung bringt. Die ersten paar Minuten des Fluges sagte er nichts, aber als er dann sprach, staunte Althene.
»Ich weiß nicht, was für eine Ware Sie bei sich haben, Madame, aber Sie werden in ganz Europa gesucht.«
»Was? Wer sucht mich, und wie kommt es, daß Sie das wissen? Mein Name ist nicht erwähnt worden; das hat man mir garantiert!«
»Ein Rundschreiben der Interpol, das in ganz Europa verteilt wurde, mit einer sehr genauen Beschreibung. Es kommt sehr selten vor, daß die internationale Polizei nach einer Frau Ihres — wollen wir sagen — Ihres Alters und Ihres Aussehens sucht. Ich nehme an, Ihr Name ist Holcroft. «
»Nehmen Sie gar nichts an.« Althene hielt sich an ihrem Sicherheitsgurt fest und versuchte, ihre Reaktionen unter
Kontrolle zu behalten. Sie wußte nicht, weshalb es sie erschreckt hatte — der Mann von Har Sha’alav hatte gesagt, sie seien überall. Aber die Tatsache, daß die Wolfsschanze hinreichenden Einfluß auf Interpol hatte, um ihren Apparat zu gebrauchen, war entmutigend. Sie mußte sich also nicht nur vor den Nazis der Wolfsschanze versteckt halten, sondern auch vor der Polizei. Das Ganze war eine äußerst geschickt aufgebaute Falle; ihre Vergehen waren nicht abzuleugnen: Reisen mit falschem Paß und dann ohne Paß. Und sie konnte keine Erklärungen für diese Vergehen liefern. Wenn sie das täte, brächte sie ihren Sohn — Sohn Heinrich Clausens — mit einer Verschwörung in Verbindung, die so ungeheuerlich war, daß er erledigt wäre. Mit dieser äußersten Konsequenz mußte sie sich auseinandersetzen; es war durchaus möglich, daß ihr Sohn geopfert werden mußte, doch die eigentliche Ironie lag in der Möglichkeit, daß die Wolfsschanze selbst Verbindungen zu den Behörden hatte. Sie waren überall. Sobald sie in ihre Hände fiele, würde die Wolfsschanze sie töten, ohne ihr Gelegenheit zu lassen, das zu sagen, was sie wußte.
Der Tod war akzeptabel; nicht hingegen, daß man sie zum Schweigen brachte. Sie wandte sich dem bärtigen Piloten zu. »Wie kommt es, daß Sie über dieses Rundschreiben Bescheid wissen?«
Der Mann zuckte die Achseln. »Woher weiß ich über die Radarstationen Bescheid? Sie zahlen mich; ich zahle andere. Es gibt heutzutage keine reinen Profite mehr.«
»Steht in dem Rundschreiben auch, weshalb diese... alte Frau... gesucht wird?«
»Es ist ein eigenartiger Alarm. Es heißt da ganz
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