Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
ist da etwas anderes. Eine Liste muß gefunden werden. Wir glauben, daß sie im Hotel d’Accord ist.«
»Das ist lebenswichtig«, unterbrach Helden, die ihre Hand auf Althenes Arm hatte.
»Daß wir Ihren Sohn erreichen, ist ebenso lebenswichtig«, fuhr Yakov fort und starrte die alte Frau an. »Und ich brauche einen Köder.«
42.
Von Tiebolt hielt den Telefonhörer in der einen und Kesslers Notiz in der anderen Hand. Er sprach mit dem stellvertretenden Präsidenten des Genfer Staatsrats. »Ich sage Ihnen, die Adresse ist falsch! Es handelt sich um ein altes, verlassenes Gebäude ohne Telefonanschluß. Ich würde sagen, die ›Abwehr< hat sich recht erfolgreich in Ihr staatliches Telefonnetz eingeschlichen, und jetzt finden Sie die richtige Adresse für mich!«
Der blonde Mann lauschte ein paar Augenblicke und explodierte dann. »Idiot, ich kann die Nummer nicht anrufen! Der Hotelangestellte hat geschworen, daß er sie keinem anderen als Holcroft geben würde. Was ich auch sagen würde, sie würde beunruhigt sein. Und jetzt finden Sie diese Adresse für mich heraus! Meinetwegen wecken Sie dazu den Bundespräsidenten, mir ist das egal. Ich erwarte, daß Sie mich binnen einer Stunde zurückrufen.« Er knallte den Hörer auf die Gabel und starrte wieder auf die Notiz von Kessler.
Erich war weggegangen, um sich mit Holcroft zu treffen.
Ohne Zweifel befanden die beiden sich jetzt im Excelsior, wo Holcroft unter dem Namen Fresca eingetragen sein würde. Er könnte anrufen, um sich zu vergewissern, aber das würde möglicherweise zu Komplikationen führen. Es galt, den Amerikaner an die Grenzen seiner Zurechnungsfähigkeit zu treiben. Sein Freund aus London ermordet; seine Mutter nirgends aufzufinden; möglicherweise hatte er sogar von Heldens Tod in Neuchâtel gehört. Holcroft wäre dem Zusammenbruch nahe; es konnte sein, daß er auf einem Zusammentreffen bestehen würde.
Und darauf war Johann zur Stunde noch nicht vorbereitet. Es war kurz nach drei Uhr früh, und sie hatten die Mutter immer noch nicht ausfindig gemacht. Er mußte sie finden, sie töten. Bis zu der Konferenz in der Bank hatte er noch sechs Stunden. Jeden Augenblick — aus einer Menschenmenge heraus, von einem Taxi mitten im Verkehr, auf einer Treppe, oder irgendwo in einer Ecke — könnte sie ihrem Sohn gegenübertreten und die Warnung hinausschreien: Verrat! Halt! Gib Genf auf!
Und das durfte nicht geschehen! Ihre Stimme mußte zum Verstummen gebracht, die Programmierung ihres Sohnes durchgeführt werden. Sie mußte ganz einfach noch in dieser Nacht sterben, und mit ihrem Tod wären alle Risiken ausgeschaltet. Und dann würde schnell und in aller Stille noch ein Tod hinzukommen. Der Sohn Heinrich Clausens hatte seine Funktion bald erfüllt.
Aber zuerst seine Mutter. Ehe der Tag anbrach. Die Vorstellung, daß sie irgendwo dort draußen lauerte, machte ihn wahnsinnig. Am Ende einer Telefonleitung, während die dazugehörige Adresse irgendwo in den Archiven eines Bürokraten begraben lag. Der blonde Mann setzte sich und zog ein langes, zweischneidiges Messer aus einer Scheide, die in sein Jackett eingenäht war. Er mußte es waschen. Der rothaarige Pilot hatte es besudelt.
Noel öffnete seinen Koffer auf dem Gepäckständer und sah sich die zerdrückten Kleider darin an. Dann wanderte sein Blick über die weißen Wände mit der einfachen Tapete und die Tür, die zu einem winzigen Balkon hinausführte, und
über den kleinen, zu prunkvoll wirkenden Lüster an der Decke. Hotelzimmer fingen an, sich wie ein Ei dem anderen zu gleichen; er erinnerte sich mit einer gewissen Zuneigung der schäbigen Ausnahme in Berlin. Daß er sich im Augenblick daran erinnern konnte, war fast verblüffend. Er hatte sich in dieser beunruhigenden neuen Welt ohne Beeinträchtigung seiner Fähigkeiten eingewöhnt. Er war nicht sicher, ob das gut oder schlecht war.
Erich war am Telefon und versuchte, von Tiebolt im d’Accord zu erreichen. Wo, zum Teufel, steckte Johann? Es war halb vier Uhr morgens. Kessler legte auf und wandte sich Noel zu. »Er hat die Nachricht hinterlassen, wir sollten uns keine Sorgen machen. Er ist mit dem Staatsrat zusammen. Sie tun alles in ihrer Macht Stehende, um Ihre Mutter zu finden. «
»Dann hat sie also nicht angerufen?«
»Nein.«
»Das gibt einfach keinen Sinn. Ist der Mann am Empfang noch da?«
»Ja. Sie haben ihm so viel bezahlt, wie er sonst in zwei Wochen verdient. Das wenigste, was er dafür tun kann, ist, die ganze Nacht
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