Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
hinter einem improvisierten Tresen zu, der den Rest des Raums von Telefonen und Funkanlagen trennte. »Die Frau draußen. Wer ist sie?«
Der Mann blickte kurz von seiner Arbeit auf und musterte sie. »Hier nennt man keine Namen«, sagte er. »Das sollten Sie wissen.«
»Aber es ist schrecklich wichtig! Wenn sie die ist, für die ich sie halte, ist sie in großer Gefahr. Ich sage das zu Ihnen, weil ich weiß, daß Sie Dr. Litvak kennen.«
Bei diesem Namen blickte der Mann wieder auf. Es war offenkundig, daß man in Atterrisage Medoc mit dem Risiko und der Gefahr zu leben gewohnt war, aber beiden, soweit möglich, aus dem Wege ging. Und Dr. Litvak war offenbar ein vertrauter Kunde. »Sie wartet auf einen Anruf. «
»Von wem?«
Wieder musterte sie der Mann. »Von einem unserer Piloten: ›Le Chat rouge.‹ Hat sie Ärger mit der Polizei?«
»Nein.«
»Den Korsen? Der Mafia?«
Helden schüttelte den Kopf. »Schlimmer.«
»Dr. Litvak ist Ihr Freund?«
»Ja. Er hat den Flug aus Neuchâtel für mich gebucht. Sie können nachsehen, wenn Sie wollen.«
»Das brauche ich nicht. Wir wollen hier keinen Ärger. Schaffen Sie sie weg.«
»Wie? Ein Wagen soll mich abholen und zu einem Restaurant am See bringen, wo ich auf ein Taxi warten soll. Man hat mir gesagt, es würde eine halbe Stunde dauern.«
»Jetzt nicht mehr.« Der Mann sah an ihr vorbei. »Henri, komm her.« Er nahm einen Bund mit Wagenschlüsseln vom Tresen. »Gehen Sie zu der alten Frau und reden Sie mit ihr. Sagen Sie ihr, sie muß hier weg. Henri wird Sie fahren.«
»Vielleicht hört sie nicht auf mich.«
»Das muß sie. Sie bekommen Ihren Wagen.«
Helden ging, so schnell ihre Wunde das zuließ, hinaus. Mrs. Holcroft saß nicht mehr auf der Bank, und einen Augenblick
lang geriet Helden in Panik. Dann sah sie sie. Sie stand jetzt reglos draußen auf dem verlassenen Kai, im Mondlicht. Helden ging auf sie zu.
Die alte Frau drehte sich um, als sie Heldens Schritte hörte. Sie rührte sich nicht von der Stelle und bot keinen Gruß.
»Sie sind Mrs. Holcroft«, sagte Helden. »Noels Mutter.«
Als sie den Namen ihres Sohnes hörte, fuhren Althene Holcrofts Hände zusammen; ihr Atem schien zu stocken. »Wer sind Sie?«
»Jemand, der es gut meint. Bitte, glauben Sie das. Mehr, als Sie wissen.«
»Da ich nichts weiß, kann es weder mehr noch weniger sein.«
»Mein Name ist von Tiebolt.«
»Dann gehen Sie mir aus den Augen!« Die Worte der alten Frau waren wie Peitschenschläge in der Nacht. »Die Männer hier haben Geld bekommen. Sie werden nicht zulassen, daß Sie mir etwas tun. Vorher töten sie Sie. Gehen Sie wieder zu Ihrem Wolfsrudel!«
»Ich habe nichts mit Wolfsschanze zu tun, Mrs. Holcroft.«
»Sie sind eine von Tiebolt!«
»Wenn ich zur Wolfsschanze gehörte, würde ich nicht in Ihre Nähe kommen. Das verstehen Sie doch sicher.«
»Ich verstehe nur, daß Sie hier für etwas Widerwärtiges stehen ... «
»Ich habe mein ganzes Leben mit dieser Meinung in der einen oder anderen Form gelebt. Aber Sie haben unrecht! Sie müssen mir glauben. Sie dürfen nicht hierbleiben; das ist gefährlich für Sie. Ich kann Sie verstecken; ich kann Ihnen helfen ... «
» Sie? Wie? Durch den Lauf einer Pistole? Unter den Rädern eines Wagens?«
» Bitte! Ich weiß, weshalb Sie nach Genf gekommen sind. Ich bin aus demselben Grund hier. Wir müssen ihn erreichen, es ihm sagen, ehe es zu spät ist. Man muß verhindern, daß das Geld ausbezahlt wird.«
Die alte Frau schien von Heldens Worten betroffen. Dann runzelte sie die Stirn, als ob die Worte eine Falle wären.
»Oder muß man mich aufhalten? Nun, ich werde mich nicht
aufhalten lassen. Ich werde schreien, und wenn ich das tue, dann werden die Männer kommen. Wenn sie Sie töten, bedeutet mir das nichts. Sie sind dreißig Jahre Lüge! Sie alle! Sie werden an niemanden herantreten.«
»Mrs. Holcroft! Ich liebe Ihren Sohn. Ich liebe ihn so sehr... und wenn wir ihn nicht erreichen, dann wird er getötet werden. Von der einen oder der anderen Seite! Keine kann zulassen, daß er weiterlebt! Sie müssen das verstehen .«
»Lügnerin!« sagte Althene. »Sie sind alle Lügner!«
»Hol Sie der Teufel!« schrie Helden. »Niemand wird kommen, um Ihnen zu helfen. Die wollen, daß Sie hier verschwinden! Und ich bin kein Krüppel. Das ist eine Kugel in meinem Bein! Die steckt dort, weil ich versuche, Noel zu erreichen! Sie wissen nicht, was wir durchgemacht haben! Sie haben nicht das Recht -«
Aus dem kleinen Schuppen
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