Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Schutzinstinkt, den er besaß, riet ihm, umzukehren. Genf brauchte einen Mann, der unendlich viel schlauer und erfahrener war als er. Und doch konnte er nicht umkehren. Die Überlebenden der Wolfsschanze würden es nicht zulassen. Und tief in seinem Bewußtsein war ihm klar, daß er es auch gar nicht wollte. Da war ein Gesicht, das immer wieder aus der Dunkelheit auftauchte. Er mußte seinen Vater finden und
dabei der Welt einen Mann zeigen, der Seelenqualen gelitten hatte und tapfer und weitsichtig genug gewesen war, zu wissen, daß Wiedergutmachung geleistet werden mußte. Und fähig genug, diese Überzeugung mit Leben zu erfüllen.
Noel ging zur Küchentür. Ellis stand an der Spüle und wusch Teetassen.
»Ich hol mir meine Kleider in ein paar Wochen ab, Willie. Fahren wir zum Flughafen. «
Ellis drehte sich um und sah Noel an. »Ich kann dir Zeit sparen«, sagte er und griff nach einem Porzellankrug auf dem Regal. »Du wirst französisches Geld brauchen, bis du umtauschen kannst. Ich habe hier was im Krug, für meine Reisen alle zwei Monate zu den Fleischtöpfen. Nimm dir, was du brauchst. «
»Danke. « Holcroft nahm das Gefäß entgegen und sah dabei Willies Arme unter den hochgerollten Ärmeln. Es waren die kräftigsten und muskulösesten Arme, die er je gesehen hatte. Noel schoß es durch den Kopf, daß Willie spielend einen Menschen in Stücke reißen könnte.
Der Wahnsinn fing in Heathrow an und ging in Orly weiter.
In London kaufte er sich ein Ticket für den KLM-Flug nach Amsterdam, wobei er von der Theorie ausging, daß MI-5 die ihnen zugespielte Geschichte überprüft und für plausibel befunden hatte. Wahrscheinlich war das der Fall, denn er sah, wie ihm ein verdutzter Mann in einem Regenmantel mit den Blicken folgte, als er vom KLM-Gate zurück zur Air France rannte. Dort erwartete ihn Willie mit einem Ticket für die überfüllte Maschine nach Paris.
Die Einreiseformalitäten in Orly waren oberflächlich, aber die Schlange war lang. Während er wartete, hatte Noel Zeit, das Gedränge im Zollbereich und hinter den Pendeltüren zu beobachten, die in das Hauptgebäude führten. Hinter den Türen konnte er zwei Männer sehen, die etwas an sich hatten, das seine Aufmerksamkeit erregte. Vielleicht waren es ihre ernsten Gesichter, der freudlose Ausdruck, der nicht an einen Ort paßte, wo Menschen einander begrüßten. Sie unterhielten sich leise mit unbewegten Köpfen, während sie die Passagiere musterten, die durch den Zoll gingen. Einer hielt ein
Stück Papier in der Hand; es war klein, glänzte. Eine Fotografie? Ja. Eine Fotografie von ihm.
Das waren nicht die Männer der Wolfsschanze. Die Männer der Wolfsschanze kannten ihn vom Sehen, und die Männer der Wolfsschanze blieben unsichtbar. MI-5 hatte Verbindung mit seinen Agenten in Paris aufgenommen. Sie warteten auf ihn.
»Monsieur.« Der Zollbeamte drückte routinemäßig seinen Stempel in Holcrofts Paß. Noel griff nach seinem Gepäck und ging auf den Ausgang zu, verspürte die Panik eines Mannes, der im Begriff war, in eine Falle zu gehen, der er nicht ausweichen konnte.
Als die Türen sich öffneten, sah er, daß die zwei Männer sich abwandten, um von ihm nicht bemerkt zu werden. Sie würden ihn nicht ansprechen; sie würden ihm... folgen.
Der Gedanke daran machte ihm jähe Kopfschmerzen. Das alles war ihm so fremd, alles so peinigend und unklar, und er wußte nicht, wie er vorgehen sollte. Nur eins war ihm klar: er mußte von Punkt A nach Punkt B gehen und dann wieder nach A, und er mußte irgendwo bei B seine Verfolger abschütteln.
Vor sich in der überfüllten Halle sah er eine Tafel: LIGNES AÉRIENNES INTERIEURES.
Die Fluglinien innerhalb Frankreichs pendelten mit herrlicher Unregelmäßigkeit durchs ganze Land. Die Städte waren in drei Reihen aufgelistet:
ROUEN, LE HAVRE, CAEN... ORLÉANS, LE MANS, TOURS... DIJON, LYON, MARSEILLE.
Noel ging schnell an den beiden Männern vorbei, so, als nähme er nichts in seiner Umgebung wahr.
Er eilte zu dem Intérieur-Schalter. Vor ihm standen vier Leute.
Dann war er an der Reihe. Er erkundigte sich nach Flügen in den Süden. In den Mittelmeerraum. Nach Marseille. Er wollte einige Abflugzeiten.
Es gab einen Flug, der in einem Bogen nach Südwesten flog und in fünf Städten zwischen Orly und dem Mittelmeer landete, sagte die Angestellte. Die Städte waren Le Mans, Nantes, Bordeaux, Toulouse und Marseille.
Le Mans. Die Flugdauer bis Le Mans betrug vierzig Minuten; mit einem Wagen
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