Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
töten — für Verbrechen, die sie nie begangen haben -, um so an Unschuldigen Exempel zu statuieren? Oder die sie zwingen, sich ihnen anzuschließen, indem sie sie mit Dokumenten bedrohen, in denen ihre Eltern als Ungeheuer dargestellt werden, und indem sie ihnen versprechen, daß sie sie als die Nachkommen von Psychopathen und Mördern entlarven werden, falls sie sich weigern sollten, sich anwerben zu lassen — und so vernichten sie ihr Leben um des Wahnsinns ihrer Sache willen? Dies sind die Leute, die die Kinder suchen, Mr. Holcroft. Sind Sie einer von denen?«
Noel schloß erleichtert die Augen. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie unrecht Sie haben. Ich bin nicht bereit, Ihnen mehr als das zu sagen, aber Sie haben so unrecht, daß es geradezu unglaublich ist.«
»Wir müssen sicher sein.«
»Das können Sie. Ich habe nichts mit solchen Dingen zu
tun. Von so etwas habe ich noch nie gehört. Leute, die das tun, sind krank.«
»Ja, sie sind krank«, gab der Oberst ihm recht. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Wiesenthals dieser Welt suchen die wahren Ungeheuer, die Verbrecher, die ihrer Strafe entgangen sind und immer noch über die Nürnberger Prozesse lachen, und gegen sie haben wir nichts einzuwenden; das ist ein anderer Krieg. Aber die Verfolgung der Kinder muß aufhören.«
Noel wandte sich Helden zu. »Ist es das, wovor Sie auf der Flucht sind? Sind sie nach all den Jahren immer noch hinter Ihnen her?«
Der alte Mann gab ihm darauf die Antwort. »Jeden Tag finden Gewalttaten statt, überall.«
»Warum weiß dann niemand davon?« fragte Holcroft. »Warum gibt es darüber keine Berichte in den Zeitungen? Weshalb vertuscht man das alles?«
»Würde sich denn jemand wirklich dafür interessieren?« fragte der Oberst. »Für die Kinder von Nazis?«
»Um Himmels willen, das waren doch Kinder .« Wieder sah Noel Helden an. »War das, was ich heute abend gesehen habe, so etwas? Müssen Sie einander schützen ? Ist das so weit verbreitet?«
»Man nennt uns die >Kinder der Hölle‹«, sagte die Tochter von Tiebolts leise. »Verdammt für das, was wir sind, und verdammt für das, was wir nicht sind.«
»Das verstehe ich einfach nicht«, sagte Holcroft.
»Es ist unwesentlich, ob Sie das verstehen.« Langsam erhob sich der alte Soldat wieder. Noel dachte, daß er offenbar versuchte, sich noch einmal zu seiner imponierenden Größe aufzurichten. »Es ist nur wichtig, uns zu überzeugen, daß Sie keiner der beiden Gruppen angehören. Sind Sie zufrieden, Helden?«
»Ja.«
»Sonst gibt es nichts, von dem Sie meinen, daß ich es wissen sollte?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich bin zufrieden«, wiederholte sie.
»Dann bin ich es auch.« Der Oberst streckte Noel die Hand
hin. »Danke, daß Sie gekommen sind. Helden wird Ihnen erklären, daß meine Existenz nicht allgemein bekannt ist; und das soll auch so bleiben. Wir wüßten es zu schätzen, wenn Sie das, was Sie hier gehört haben, für sich behalten würden.«
Holcroft griff nach der Hand und staunte über den festen Druck des alten Mannes. »Wenn Sie mir dasselbe versprechen. «
»Sie haben mein Wort.«
»Dann haben Sie auch das meine«, sagte Noel.
Sie fuhren schweigend durch die Nacht, und die Scheinwerfer ihres Wagens bohrten sich in die Finsternis. Holcroft saß hinterm Steuer, Helden neben ihm auf dem Beifahrersitz; sie wies ihm mit knappen Kopfbewegungen den Weg, zeigte ihm immer wieder, wo er abbiegen mußte. Diesmal gab es keine schroffen Kommandos, die in letzter Sekunde herausgebellt wurden. Helden schien von den Ereignissen der Nacht ebenso erschöpft wie er. Aber die Nacht war noch nicht um; sie mußten reden.
»War das alles notwendig?« fragte er. »War es so wichtig, daß er mich sehen mußte?«
»Unbedingt. Er mußte überzeugt werden, daß Sie nicht zur ODESSA gehörten. Oder zur RACHE.«
»Können Sie mir nicht noch mehr darüber sagen? Er hat so geredet, als müßte ich das alles wissen, aber ich weiß es wirklich nicht. Eigentlich habe ich ihn gar nicht richtig verstanden. «
»Das sind zwei extremistische Organisationen, die sich aufs heftigste bekämpfen. Beide fanatisch, und beide hinter uns her.«
»Uns?«
»Den Kindern der führenden Männer in der Partei. Wo immer wir auch sind; wohin auch immer das Schicksal uns verschlagen hat.«
»Warum?«
»Die ODESSA bemüht sich darum, die Nazipartei wieder ins Leben zu rufen. Die Anhänger der ODESSA sind überall.«
»Im Ernst? Wirklich?«
»Absolut im Ernst.
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