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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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ersten Tränen seines Lebens, während die wirren Stimmen seiner Eltern ihn zu trösten versuchten: »Warum weinst du denn, mein Schatz? Ich bin zurück. Seit einer Woche ist Papa zurück, Michè. Freust du dich? Für immer.«

Bestätigungen
    »Für immer ist ein flüchtiges Wort, in dem sich unser verbissener Wunsch ausdrückt, die Zeit zu überdauern. Nichts existiert für immer, außer die greifbaren Dinge, die fälschlicherweise als unbeseelt bezeichnet werden, wie die Steine der Fiumara, das Sila-Gebirge, unser Meer, der Wind. Für immer ist der Hügel des Rossarco.«
    Ich musste oft an die Worte meines Vaters denken, an die Geschichten, die er mir erzählte. Sie waren durchsetzt von Gewissheiten und Ernüchterungen, von Dornen und Blüten, letztlich dienten sie vor allem ihm, die hartnäckigsten Schatten der Vergangenheit zu vertreiben, die sein Leben getrübt hatten. Was sie bei mir bewirkten, interessierte ihn nicht. Wenn er mich hilflos in den verwickeltsten und rätselhaftesten Ereignissen des Hügels zappeln sah, donnerte er: »Du musst Geduld haben, Sohn. Früher oder später kommt die Wahrheit ans Licht.« Und statt sie mir zu erklären, diese Ereignisse, redete er um sie herum, bedächtig und zaudernd, wie eine Maus, die den Käse in der Falle riecht. Kurz, die Wahrheit musste ich alleine herausfinden.
    Als ich Anfang August für die Ferien nach Kalabrien kam, bemerkte mein Vater sofort Simonas Abwesenheit: »Warum ist deine Frau nicht bei dir?«, fragte er mich zur Begrüßung. Er wusste nicht viel von uns, rief uns nie an. Es schien so, als wolle er nicht hören, dass es mir im Trentin gutging, dank Simona, die von dort stammte, dass meine Arbeit als Lehrermir gefiel, die Leute und auch die Berge, dass mir nichts fehlte, Pà, fast nichts.
    Mit einem gewissen Stolz erzählte ich ihm: »Simona ist schwanger, im zweiten Monat, sie wollte die Strapazen der Reise und der Hitze hier unten nicht auf sich nehmen. Sie fährt zu ihren Eltern auf deren Berghütte. So Gott will, kommen wir nächstes Jahr zusammen mit dem Kind.« Er erwiderte nur: »Endlich«, doch aus diesem Wort sprach seine ganze Freude.
    »Das schickt Simona dir«, setzte ich hinzu und reichte ihm den Katalog einer schönen Ausstellung, die das Stadtmuseum von Rovereto, dem Geburtsort Paolo Orsis, ihm gewidmet hatte. Er war voll mit Fotografien des berühmten Archäologen an den verschiedenen Ausgrabungsstätten.
    Mein Vater erkannte ihn, noch bevor er die Bildunterschriften las: »Schau dir das an, Professor Orsi, genau wie damals auf unserem Hügel, mit dem weißen Spitzbart, den Schnallenstiefeln und der bis zum Hals zugeknöpften Jacke. Der gleiche gescheite Blick!« Er betrachtete liebevoll jedes Foto, und seine glänzenden Augen verrieten einen Funken Rührung. Eines zeigte den Professor mit einem Carabiniere, denn in jenen Jahren, so hieß es in der Bildunterschrift, war es lebensgefährlich, allein durch die ländlichen Gegenden Süditaliens zu streifen.
    Beim gemeinsamen Durchblättern der Seiten fanden wir die vielen Forschungsreisen in das Gebiet um Cirò bis nach Cariati bestätigt, die Festnahme wegen Spionage, die Ausgrabungskampagne bei der Punta Alice, doch keinen ausdrücklichen Hinweis auf den Rossarco.
    Mein Vater schien enttäuscht.
    »Ganz sicher hat sich Paolo Orsi dazu Notizen in seineberühmten Hefte gemacht, die im Museum von Syrakus unter Verschluss gehalten werden«, sagte ich zu ihm. Und er erinnerte sich daran, dass meine Mutter einst einen Blick hatte hineinwerfen dürfen auf Vermittlung eines engen Freundes von Paolo Orsi, Umberto Zanotti-Bianco, dessen Mitarbeiterin sie gewesen war.
    »Weißt du denn, ob Mama irgendetwas Interessantes über die Ausgrabungen am Rossarco gefunden hat?«, fragte ich ihn neugierig.
    Die Miene meines Vaters verdüsterte sich. Er betrachtete die letzten Fotos von Paolo Orsi als altem Mann, antwortete nur knapp: »Vieles«, und wechselte das Thema: »Von ihr habe ich erfahren, dass der Professor 1935 gestorben ist, im Alter von sechsundsiebzig Jahren. Es tat mir leid, er war für mich wie ein Verwandter oder alter Freund, der diese Orte hier liebte. Wenn er wüsste, was unsere Hügel heutzutage alles erdulden müssen, würde er sich im Grab umdrehen: Von wegen Ausgrabungsgebiet, hier entstehen überall Windparks und riesige Müllkippen. Ganz zu schweigen von den Küsten, die durch Zement und illegale Bautätigkeit verschandelt sind.«
    Er war wirklich geknickt, mein Vater, und ich

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