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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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wusste nicht, ob aufgrund der Erwähnung von Paolo Orsis Tod oder der Umweltskandale oder beidem. Ein plötzlicher Windstoß begleitete wirkungsvoll meine Frage: »Sind denn diese Typen vom Windpark noch einmal aufgetaucht, um dich zur Unterschrift zu überreden?«
    »Nur einmal, dieselben Gauner. Dann kamen nacheinander zwei Bürgermeister, ein Provinzbeamter, ein Sohn von Don Lico, der mir nahegelegt hat, das Angebot anzunehmen, sonst werde auch ihm ein Geschäft durch die Lappen gehen, und der Wasserträger eines Regionalassessors ...«
    »Und wie hast du reagiert?«
    »Ich habe sie alle zum Teufel geschickt. Schließlich haben sie mir mit Enteignung gedroht, doch dann mussten sie, um keinen Ärger zu kriegen, die Positionen der Windräder innerhalb des Parks ändern. Unser Hügel ist im Moment in Sicherheit, aber drum herum, die schönen Landschaften, um die uns alle Fremden immer beneidet haben?«
    Einige Minuten blickte er, in dunkle Gedanken versunken, vor sich hin und schwieg. Dann, als hätte er mein dringendes Bedürfnis nach Bestätigungen gespürt, sagte er: »Lass uns reingehen, ich muss dir etwas Interessantes zeigen.«
    Wir standen beim großen Olivenbaum, und auf dem Weg zur Casella listete mein Vater mir weitere »Besuche« auf, die er in den letzten Monaten erhalten hatte: scheinbar naive Touristen und gewiefte Langfinger aus der Umgebung, die hier oben Obst und Gemüse stahlen, Pärchen, die von Marina heraufkamen für ein Schäferstündchen im Wald von Tripepi; finstere Grabräuber, die in seiner Abwesenheit jede Handbreit Boden mit den neusten Metalldetektoren abtasteten und wie die Hasen das Weite suchten, sobald er mit der Doppelflinte auftauchte. Und schließlich seine marokkanischen Freunde – die Einzigen, von denen er mit Respekt sprach –, die ihm im Morgengrauen ein paar Stunden halfen und jeden zweiten Tag einen Tageslohn und dazu Obst und Gemüse nach Belieben mit nach Hause nahmen.
    Ich erwiderte im Spaß: »Auf diesem Hügel herrscht ja mehr Betrieb als auf der Bundesstraße 106.« Doch er lächelte nicht.
    In der Casella trat er gleich an eine Kommodenschublade und wühlte darin herum. Dann sagte er: »Da, lies das«, undreichte mir einen alten Brief mit dem Briefkopf des Museums von Syrakus.
    Die Worte waren eng geschrieben und beugten sich wie Grashalme im Wind. Laut las ich vor: »Lieber Michelangelo Arcuri, entschuldigen Sie, dass ich mich nicht früher gemeldet habe, doch eine schwere Krankheit hat mich ans Bett gefesselt. Jetzt geht es ein wenig besser. Ich verspreche Ihnen, sobald ich wieder gesund bin, nach Spillace zu kommen und die Münzen zu schätzen und sie Ihnen gemäß den gesetzlichen Vorschriften abzukaufen. Nun also bis bald und mein Kompliment an Ihre Schwester, die ebenso begabt ist wie mein Zeichner Carta. Einen herzlichen Gruß an Sie und die ganze Familie Arcuri, einschließlich Ihres Vaters, der hoffentlich vorzeitig aus der Verbannung zurückgekehrt ist (in meiner Funktion als Senator habe ich Ihrer aller Bitte gemäß bei den entsprechenden Stellen um Begnadigung ersucht, doch muss ich gestehen, nur ausweichende Antworten bekommen zu haben). Hochachtungsvoll, Paolo Orsi.«
    Der Brief war wenige Tage nach Arturos Rückkehr aus Ventotene angekommen, sagte mein Vater und setzte seine Erzählung aus jenen Tagen mit einer Detailfülle fort, die mich überraschte. Doch ohne jede Nostalgie, ohne jedes Bedauern. Seine Rührung ging in eine nüchterne und klare Wiedergabe der Fakten über, die sich in der Gegenwart abzuspielen schienen. So dass er von seinem Vater sprach, als sei er an diesem Vormittag erst von der fernen Insel zurückgekehrt, gemeinsam mit mir, um ihm die Botschaft einer neuen Geburt zu überbringen.

18
    Nach vier Jahren, acht Monaten und sechzehn Tagen der erzwungenen Trennung war die Familie Arcuri wieder vereint und frei, zu lächeln und voranzukommen, als habe eine feurige Sonne plötzlich den Trauerschleier um ihr Haus weggesengt. Diese Sonne war Arturo, aktiv und entschlossen wie bei seiner Rückkehr aus dem Krieg, mit dem Unterschied, dass er nun gesund aussah, die glatte Haut gebräunt, der Körper robuster, die Augen vor Träumen und Hoffnungen strahlend.
    Dank seiner Exilgenossen, mit denen er auf Ventotene jeden Tag diskutiert hatte, war sein politisches Bewusstsein gewachsen, und er verfügte über eine respektable ideologische Bildung. Er kannte ganze Absätze des Kommunistischen Manifests auswendig und beherrschte bei Bedarf ein

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