Der Hügel des Windes
Nächstes Jahr, wenn er wieder frei ist, wird er es euch heimzahlen, euch allen, auch denen, die unseren Hügel in den Schmutz gezogen haben, indem sie zwei Tote dort vergruben, und ich werde ihm dabei helfen, da könnt ihr Gift drauf nehmen. Er senkte den Blick auf das Buch, ballte unter der Bank die Fäuste und tat so, als lese er. Wegen zwei so hinterfotzigen Schurken durfte er nicht riskieren, von der Schule zu fliegen.
In den Weihnachtsferien fuhr er das erste Mal nach Hause. Er packte seinen Rucksack mit schmutziger Wäsche, fuhr mit der Drahtseilbahn bis Catanzaro Sala und nahm dort den Zug Richtung Marina, der für eine Strecke von kaum neunzig Kilometern über vier Stunden brauchte. Es war ein kalter, strahlender Tag. Der Hügel badete im Sonnenlicht, und Michelangelo schlug ohne langes Nachdenken den Weg zum Piloru ein, dem Berghang, wo Paolo Orsi gegraben hatte.
Er wollte der Mutter eine Überraschung bereiten. Dass genau das Gegenteil eintreten sollte, konnte er nicht ahnen.
Vom Rossarco schlug ihm nur die Stimme des Windes entgegen, ein heulendes Rauschen wie die Klage eines verletztenMenschen, während er schwitzend trotz der kalten Böen mit behutsamen Tritten voranschritt.
Oben angekommen, suchte er im Weinberg nach der Mutter, dann stieg er zum Zitrushain an der Fiumara hinab, warf einen Blick auf den Gemüsegarten, ging wieder hinauf durch den Wald von Tripepi, wo sie manchmal Zweige für den Herd sammelte, schließlich wanderte er kreuz und quer zwischen den Flecken aus Feigenkakteen und über den Hügel bis zum großen Olivenbaum.
An diesem Punkt wollte er beinah aufgeben und laut nach ihr rufen, die Überraschung auf ein anderes Mal verschiebend. Doch dann sah er den Esel, der neben der Steinhütte graste. Auf Zehenspitzen schlich er näher, nun wieder mit einem Lächeln im Gesicht. Kein Zweifel: seine Mutter war dort drinnen und aß einen Happen zu Mittag. Er spähte durch die Ritzen der mit Brettern verschlossenen Fensteröffnung, und sein Lächeln verwandelte sich jäh in eine Grimasse verzweifelter Ungläubigkeit, angewiderten Schmerzes, der ihm wie Erbrochenes im aufgerissenen Mund lag.
Die Mutter hatte die Augen geschlossen, ihr Kinn ruhte in der Mulde zwischen Schulter und Hals eines Unbekannten. Es war eine zärtliche, freiwillige Umarmung. Der Mann hatte seine Finger in ihren gewellten Haaren vergraben und streichelte ihren Kopf, flüsterte in ihr Ohr und wusste nichts von dem Blick, der auf seinem Rücken brannte und ihn, wenn er gekonnt hätte, versengt hätte.
Michelangelo wusste nicht, was tun, er spürte, wie ihm sein Mageninhalt nun wirklich die Kehle hinaufstieg. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder in der kindischen Hoffnung, dass alles nur ein Traum sei.
Die Mutter war hinter den breiten Schultern des Mannes verschwunden, ihre Münder langen aufeinander, und sie schmiegten sich eng aneinander. Michelangelo konnte den schmerzenden Ekel nicht länger ertragen. Er entfernte sich schwankend ein paar Meter von der Hütte, stolperte, stürzte zu Boden, so dass der Esel schrie, dann brüllte er: »Hure, Hure, du bist eine verdammte Hure!«, und rannte los, »Dreckshure, das werde ich Papa sagen, wenn er wiederkommt«, und seine Worte schmerzten ihn, was sonst, »du widerliche Hure«, und er rannte und wäre ewig gerannt, nur weg, weg, weg von diesem unerträglichen Anblick, wenn die Tür der Casella nicht mit kreischenden Angeln aufgegangen wäre und ein Ruf ihn von hinten durchbohrt hätte wie die Hörner eines Stiers: »Michè, wo willst du hin? Komm zurück!«
Diese Stimme erkannte der Junge sofort, er drehte sich ruckartig um, schloss die Augen und öffnete sie wieder, dann träumte er also nicht, der Unbekannte war sein Vater, mit lockigen Haaren und nie gesehenen grauen Sprenkeln im Schnurrbart, und doch er, die funkelnden Augen, die vollen Lippen, die sich zu einem weißen, unverwechselbaren Lächeln öffneten.
»Michè, was stehst du da herum, komm her und umarme mich«, rief sein Vater, und endlich rührte sich der Sohn und wiederholte in umgekehrter Richtung alle Bewegungen, Gefühle und Verwünschungen von eben: Er rannte auf die Hütte zu, stolperte vor lauter Glück, sah, wie die Mutter aus dem Haus kam, und schämte sich seiner Schandworte, die er ihr hingeworfen hatte, sog den Geruch seines Vaters ein, spürte seine starken Arme, die ihn fast zermalmten, die weichen Lippen der Mutter auf seiner Stirn, und brach inTränen der Freude und der Reue aus, die
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