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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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dem Codenamen “Slepice” geführt. Für diesen möchte ich mich entschuldigen, aber mein eigener Führungsoffizier fand das leider witzig. Ich werde Ihnen jetzt gleich ein Kuvert übergeben, das sensible Informationen über mich und die CSSR enthält – genügend, um Sie und mich interessant zu machen, zu wenig, um einen von uns beiden aus dem Verkehr zu ziehen. Weiters befindet sich unter den Dokumenten ein kleiner Spesenersatz in Form eines anonymen Sparbuchs – übrigens eine wunderbare Errungenschaft Ihres Landes. 
    Hochachtungsvoll,  
    Ihr Herr Dvorschak”  
     
    Ich blickte auf. 
    “ ... wobei mich das alles ein wenig an die Schweiz erinnert, die gesamte Bevölkerung in Wirklichkeit eine gewaltige Armee. Aber das hat man ja schon in der Schweinebucht gesehen.” 
    Herr Dvorschak zwinkerte mir zu, schob, wie angekündigt, einen dicken Umschlag zu mir hinüber und nahm gleichzeitig den Zettel, der vor mir auf dem Tisch lag, wieder an sich.  
    “ Und? Was hat sich bei Ihnen in letzter Zeit so getan?”  
     
     
    ***
     
     
    Benommen ging ich den Ring entlang. Es war ruhig wie immer. Die Studentenrevolten des vorigen Jahres waren vergessen, hatten Wien ohnehin nur gestreift. Ein paar Gammler, mindestens zehn Jahre jünger als ich, fragten mich, ob ich ein paar Schilling hätte. Sie duzten mich. Ich ignorierte sie, murmelte ein automatisiertes “Geht's arbeiten, Ihr Asozialen” und wankte weiter. “Selber Asozialer”, riefen mir einer von ihnen nach. “Gib uns wenigstens was von Deinem Obstler ab!” Ich wankte wie weiter, fragte mich, welchen Obstler sie meinten, streifte Passanten, stieß gegen parkende Autos, Verkehrsschilder und Briefkästen. 
    Doppelagent.   
    Deckname “Slepice”  
     
     
    ***
     
     
    “Entschuldigen Sie bitte, ich suche Ihre Sprachabteilung.” 
    Die Verkäuferin sah mich prüfend -, dann, vielleicht nachdem sie gemerkt hatte, dass ich trotz meines wirren Gesichtsausdrucks, keine Fahne hatte, besorgt an.  
    “ Geht es Ihnen gut? Sie sehen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen.” 
    “ Ostsprachen.” 
    “ Wie bitte?” 
    “ Ostsprachen. Führen Sie Wörterbücher für Ostsprachen?” 
    “ Sie meinen Russisch.” 
    “ Eher tschechisch. Oder slowakisch.” 
    “ Tschechisch sollten wir haben. Im ersten Stock, ganz hinten. Aber slowakisch? Ist das überhaupt eine Sprache?" 
     
     
    ***
     
     
    Ich schlug das Wörterbuch auf. Das Alphabet, obwohl dem Deutschen sehr ähnlich, verwirrte mich, weshalb es etwas länger dauerte, bis ich  das “S” fand, dann war ich aber irgendwann doch auf der richtigen Seite.  
    Mein Zeigefinger wanderte die Zeilen hinunter, dann: “Slepice; Huhn, das.”  
    Witzig.   
    Sehr.   
    Ha.   
    Ha.  
    Trotzdem war mir klar, dass ich Dvorschaks Angebot annehmen würde. Fleischer und dem dicken Umschlag zuliebe.

1969
     
     
    “ So schnell wieder einen Bonus bekommen?” Ich schenkte Dvorschak, der keine zwei Monate nach unserem letzten Zusammentreffen wieder bei mir eincheckte, ein säuerliches Lächeln. 
    “ Ja, der Markt für Papierführungsseile explodiert derzeit förmlich.” 
    “ Schön für sie.” 
    “ Schön für mich.”  
    Bis wir im Lift waren, wechselten wir kein weiteres Wort.  
    “ Haben Sie Ihre Kamera dabei?” 
    Ich nickte. “In der Schublade.”  
    “ In Ordnung. In fünf Minuten werde ich Sie anrufen. Sie werden in die Suite kommen. Wenn jemand fragt, sagen Sie, ich hätte Schwierigkeiten die Badezimmertür aufzubekommen. Sie werden die Dinge, die ich Ihnen zeige, fotografieren. Morgen werden Sie, nachdem ich ausgecheckt habe, eine leichte Erschütterung verspüren. Sie werden die Polizei anrufen und sie darauf hinweisen. Wenn diese nichts unternimmt, werden sie die Erschütterungen bei Übergabe der Photos Fleischer gegenüber erwähnen.” 
    Ich starrte Dvorschak wortlos an. Die Lifttür ging auf. Dvorschak stieg aus, blickte zu mir zurück. “Machen Sie sich keine Umstände, ich finde mich schon zurecht.” Er ging den Gang entlang. Jemand musste den Fahrstuhl gerufen haben, die Tür schloss sich, es ging abwärts.  
     
     
    ***
     
     
    “Wissen Sie, warum ich den zweiten Liegestuhl dazugemietet habe?” 
    Herr Dvorschak, der sich eben neben mich hingesetzt hatte, erwiderte nichts. Ob er eine wie auch immer geartete nonverbale Reaktion zeigte, konnte ich nicht sagen, da ich mein Gesicht mit geschlossenen Augen nach der brennend heißen Frühherbstsonne Caorles

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