Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Medien ins Spiel brachte.
“ Woher haben Sie solche Unterlagen überhaupt?”, fragte ich Dvorschak.
“ Herr Alexander, ich bitte Sie: Berufsgeheimnis.”
Vom Strand her kam eine wunderschöne Frau auf uns zugeschlendert, langes blondes Haar zu einem nachlässigen Knoten im Nacken zusammengebunden, braungebrannt, türkisfarbene Augen, Typ Mannequin mit entsprechender Bikinifigur. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag automatisch beschleunigte. Zur Beruhigung nahm ich einen Schluck von meinem Rum.
“ Woher haben Sie so eine Frau überhaupt?”, fragte ich Dvorschak.
“ Herr Alexander, ich bitte Sie ...”
Ich winkte ab.
Die Frau lächelte Dvorschak zu: “Mudlo, kommst Du? Die Kinder wollen mit Dir spielen.” Innerlich zuckte ich ob ihres bömakelnden Deutsch ein wenig zusammen. Wenn Sie den Mund halten würde, wäre Sie perfekt, dachte ich. Wobei ich zu meiner Entschuldigung nur anführen kann, dass wir das Jahr 1972 schrieben, Gedanken – und auch laut ausgesprochene Sätze diese Art durchaus akzeptabel waren.
“ Schatz, ich wünschte, Du hättest einen französischen Akzent”, rief ich ihr deshalb zu.
“ Schatz, glaub mir”, bömakelte sie zurück, “alles was ich auf französisch können muss, kann ich.”
Darauf gab es nichts mehr zu erwidern. Weder damals noch heute.
***
Mit mir im Reinen sah ich aus der Ferne zu, wie Dvorschak mit seiner Familie am Strand spielte: Sandburgen bauen, Kanäle und Fallgruben ausheben, wieder umwerfen, zuschütten, abdecken.
Gott, war ich froh, keine Kinder zu haben.
Doch als ich mich so umblickte und außer mir nur junge Pärchen oder kubanische Großfamilien sah, die sich allesamt prächtig zu unterhalten schienen, während ich in der Bar der einzige Mensch war, der alleine an seinem Drink nippte, spürte ich ein leises Ziehen in der Magengrube: Einsamkeit.
Doch bevor ich mich trotz der paradiesischen Umstände in eine handfeste und vollkommen überflüssige Wiener November-Depression stürzen konnte, erklang hinter mir eine Stimme:
“ Hola, guapo, que tal?” Hallo, mein Hübscher, wie geht's?
Ich musterte die junge Frau, die sich, mit keinem ihrer durchaus zahlreich und prominent vorhandenen Reize geizend, vor mich hingestellt hatte. Sie hatte beide Hände auf ihre Hüften gestützt, das Tüchlein, das Sie in Parodie eines Rockes trug, war zu kurz, um die Konturen der darunter liegenden Körperpartien der Phantasie zu überlassen, die Bluse hatte sie fröhlich frivol über dem Bauchnabel zusammengeknotet.
“ Hola guapa, how much?”
“ But Señor, how can you?”, rief sie aus.
“ I know, I know”, winkte ich ab. “No prostitution in Cuba.”
“ Correcto, Señor. So how much you got?”
Ich ließ die Frage im Raum stehen, ein kurzer Blick in meine Geldbörse erlaubte mir aber ein Lächeln, das ich auch gleich an meine neue, beste kubanische Freundin weiterschenkte. Für heute Nacht würde ich mir eine Unterbrechung meiner Einsamkeit leisten können – über meine innere Leere würde ich morgen früh noch lange genug nachdenken können.
“ Vamos.” Ich stand auf.
“ Si, Señor.”
Ach, Kuba!
Wie wir waren
1973 begannen ein paar von uns zu ahnen, dass wir im Westen, wir die alten Herren der Welt, unseren Griff auf dieselbe zu verlieren begannen. Ein paar Kameltreiber, die noch vor ein paar Jahrzehnten ihre kümmerliche Existenz in zerschlissenen Zelten auf unfruchtbaren Landschollen gefristet hatten, brachten uns dazu, auf unsere Autos kleine Kleber anzubringen, die uns und unseren Mitmenschen verrieten, wann wir gefälligst den ganzen Tag zu Fuß zu gehen hatten. Es war eine furchtbare Demütigung und im Nachhinein gratulierten wir den Israelis zu ihrem Sechs Tage Krieg. In Wirklichkeit begannen wir uns aber immer verlorener und unsicherer zu fühlen. Wer verstand schon, dass es der Organisation, die uns über unsere verwundbarste Stelle - das Öl - in die Knie gezwungen hatte, dass es also diesem Kartell gestattet war, sein Hauptquartier in unserer Hauptstadt zu aufzuschlagen? Wie kamen wir dazu, von Terroristen, wie diesem furchtbaren Carlos bedroht zu werden und das Blut, dass er auf unseren Straßen vergoss, auch noch höchst selbst vom Asphalt schrubben zu müssen? Also wählten wir einen Mann, dem wir zutrauten, uns durch eine Zeit zu führen, die mit jedem Tag übler und undurchsichtige zu werden drohte. Wir machten diesen Kreisky zu
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