Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
– Irrlichter meines Lebens. Aber hatte die nicht jeder? Vielleicht nicht ganz so bewundernswert, vielleicht nicht ganz so hübsch … aber in der einen oder anderen Form im Dasein jedes Menschen, den ich kannte, vorhanden. Die meisten Sprösslinge in unserem Bekanntenkreis waren in der Regel älter als unsere, denn Ende 30 seinen ersten Nachwuchs zu zeugen galt durchaus als exzentrisch. Ich würde über 50 sein, bis ich wieder ein relative freies Leben würde führen können, ein Leben, wie ich es kannte.
Nicht, dass ich diese Gedanken laut geäußert hätte. Weder meiner Frau, noch meinen Bekannten und nicht einmal Herrn Dvorschak gegenüber, dem ich, so mein Gefühl, beinahe alles erzählen konnte – das obwohl ich ihn nur alle paar Jahre sah.
Und war es nicht in den Filmen auch immer so? Waren nicht die Helden die, die keine Kinder hatten? Die, die in die Stadt hineinritten, niemand wusste woher, die Schurken abknallten, das hübscheste Mädchen bekamen und am Ende davonritten, niemand wusste wohin? So ähnlich hatte ich mir mein Leben auch vorgestellt: Mysteriös, gefährlich, ruhmreich, bis ich irgendwann den Sack voller Golddollar finden würde und mich auf meiner Hacienda zur Ruhe setzen, Pferde züchten und mich von meinem Vorarbeiter “Patrón” nennen lassen konnte.
Aber jetzt, da ich die erste Hälfte meiner zu erwartenden Lebensspanne deutlich hinter mit hatte, dämmerte mir langsam, dass ich nichts davon erreichen würde, weder Ruhm, noch Abenteuer und schon gar keinen Sack voller Golddollar.
Nicht, dass ich auf Golddollar fxiert gewesen wäre. Doublonen, Dukaten, Guinees …
Doch auch matte Scherze vor mir selbst konnten mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich mich auf der Zielgerade befand und dabei einen Platz in der hinteren Hälfte des Läuferfeldes einnahm.
Deshalb war es nicht gelogen, wenn ich sagte, ich wäre froh, Herrn Dvorschak zu sehen. Er hauchte meinem Leben ein Prise weite Welt, eine Ahnung von Cinemascope ein. Dafür hätte ich wahrscheinlich auch umsonst für ihn gearbeitet.
Was ihm gegenüber zu verschweigen ich aber intelligent genug war.
Immerhin.
***
“Sind unsere Familien eigentlich in Gefahr?
Herr Dvorschak sah von seinem Teller auf. Er nahm sich Zeit, Finger und Mund sauber zu wischen, dann blickte er mich ernst an: “Wenn es so wäre, würde ich Ihnen hier und jetzt raten, aufzuhören.”
“ Aber das tun Sie nicht.”
“ Natürlich nicht. Wir sind viel zu kleine Lichter, um uns, geschweige denn unsere Familien, mit dem bisschen Herumstöbern zu gefährden. Sehen Sie mich an: Wirke ich auf Sie jemand, der das Leben seiner Kinder aufs Spiel setzt?”
“ Nein, das tun Sie nicht.”
Er nickte.
“ Aber vielleicht sehen Sie wie jemand aus, der das Leben anderer Kinder aufs Spiel setzt.”
“ Wenn Sie das wirklich glauben, müssen Sie aufhören. Hier und jetzt.”
Ich schwieg.
“ Ich schwöre Ihnen, dass keiner von uns durch unsere Arbeit gefährdet wird. Also erweisen Sie sich einen Gefallen, bleiben Sie an Bord und gewährleisten Sie Ihren Lieben den Lebensstandard, an den sie sich inzwischen wahrscheinlich gewöhnt haben.”
Ich blieb an Bord.
***
“Ich brauche Opernkarten für meinen Führungsoffizier.”
“ Sie haben auch einen Führungsoffizier?”
“ Das wissen Sie doch. Hatte ich Ihnen sogar am ersten Tag erklärt.” Er schüttelte den Kopf. “Ich selbst hätte ihnen doch nie einen derart idiotischen Decknamen gegeben.”
“ Verstehe. Aber wozu brauchen Sie Theaterkarten?”
“ Er will seinen Führungsoffizier beeindrucken.”
Ich zuckte mit den Achseln. “Es gibt einen Aufschlag.”
“ Wie hoch ist der?”
“ Im hohen dreistelligen Prozentbereich.”
“ Verstehe. Also ich bräuchte eine Loge für Turandot”
Meine Augenbrauen machten sich auf den Weg Richtung Haaransatz. “Das wird teuer. Wie viele Plätze? Zwei?”
“ Eine ganze Loge.”
“ Schwierig.”
Er packte einen Din A4 großes Blatt Papier aus, das sich als Sitzplan der Wiener Staatsoper herausstellte. Er zeigte auf eine Stelle. “Und außerdem muss es exakt diese Loge sein.”
“ Unmöglich! Wie stellen Sie sich das vor?”
“ Als schwierig.”
“ Nein, nein.” Ich schüttelte energisch den Kopf. “Es ist, wie ich bereits sagte, 'unmöglich'”.
“ Aber Herr Alexander … in ihrem Schwarzen Büchlein finden Sie doch
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