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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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Zelle merkte ich diesmal nicht. Der Geruch von gefrorenem Zigarettenrauch ließ die Luft eisiger erscheinen als sie es ohnehin war.  
    “ Nein, nein. Es ist nichts. Alles in Ordnung.” 
    Wir schwiegen beide kurz. Ich hörte ihren Atem am anderen Ende der Leitung. Er kam langsam und gepresst, so als würde sie ihn immer wieder anhalten.  
    “ Kann ich Dich etwas fragen?” 
    “ Natürlich, cariño. Ist wirklich alles in Ordnung?” 
    Ich ignorierte ihre Frage. “Bin ich ein guter Mensch? Hälst Du mich für einen guten Menschen?”  
    “ Was redest Du da?” Carolina klang alarmiert. “Was ist los mit Dir? Wo bist Du? Komm bitte nach Hause. Ahora mismo. Digales que estas krank und komm nach Hause. Ich mache Dir ein Bad, wir schicken die Kinder für den Abend mit dem Babysitter fort...” 
    “ Malediven.” 
    “ Wie bitte?” 
    “ Ich habe mir gedacht, wir könnten auf die Malediven fliegen?” 
    Carolina lachte. “Malediven?”  
    “ Ja, genau. Malediven. Du, die Kinder und ich.” 
    “ Kinder,” rief sie, den Telefonhörer von ihrem Mund weghaltend. “Kinder!” 
    “ Ja, Mama”, schallte es gleichzeitig aus zwei Kehlen zurück. 
    “ Kommt her und bedankt Euch bei Eurem Vater. Und sagt ihm, wie sehr ihr ihn lieb habt” 
    “ Ja, Mama! Warum, Mama?” 
    “ Wir fliegen auf die Malediven.” 
     
     
    ***
     
     
    Nachdem ich aufgelegt hatte, schaffte ich es gerade noch aus der Kabine heraus. Zwischen zwei geparkten Klein-LKW, halbwegs geschützt vor den Blicken neugieriger Passanten, übergab ich mich in den Rinnstein.

Wie wir waren
     
     
    Vielleicht waren das die Jahre, in denen wir endgültig den Kontakt zur Gegenwart verloren. Wir: Das waren die, die in der Zeit knapp vor dem Krieg geboren worden waren, wir, die in den ersten Jahren ihres Lebens, in der Epoche ihrer eigenen Prägung nichts anderes verstanden hatten als Zerstörung, Schutt und Wiederaufbau.  
    Was an sich eine ganze Menge war.   
    Was zu verstehen wir aber durchaus unsere Schwierigkeiten hatten, war das “Danach”.   
    Diese Abnormalität, die für die Nachgekommenen so selbstverständlich war. Friede. Ewiger Friede. Ewig wachsender Wohlstand.   
    Diese Verachtung in ihren Augen, wenn sie über Dinge sprachen, die sie in ihrem Leben nicht kennen gelernt hatten. Die Selbstgerechtigkeit, mit der sie über uns und unsere Eltern urteilten. Die Geringschätzung, mit der sie unsere Leistungen erachteten. Hatten sie denn die Bilder nicht gesehen von dieser Stadt, die eine solche Bezeichnung nicht verdiente, weil sie nach Schlachthof stank, ob all der Leichen, die man unter den Ruinen noch nicht gefunden hatte? Konnten sie sich nicht vorstellen, was es uns gekostet hatte? Und dann bejubelten sie diesen Nestbeschmutzer, diesen Bernhard, der uns Nazis nannte in unserer Gesinnung und “perfid” in unseren Handlungen. Sie sagten, er sei voller Humor. Man musste sein Werk gar nicht lesen um zu wissen, worauf es hinauslief. Lustig? Für wen? Nicht für uns. Hatten die Jungen den Russen erlebt? Oder den Kanadier?   
    Den Kanadier?   
    Den kannte sie gar nicht mehr, dabei war er nach den Russen der schlimmste, der sadistischste gewesen. Zumindest hatte mir das mein Vater erzählt, nachdem er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden war.  
    Dass wir im Begriff waren, auf eine haltlose Zeit zuzusteuern, hörten und sahen wir bald jeden Tag. Manchmal vor unserer eigenen Haustür. Ein bis dahin unbekannter Stadtrat mit dicken Brillen, nach dem wir dann einen kleinen Pfad “Nittelweg” nennen sollten, wurde einfach so über den Haufen geschossen. Vor den Augen seiner Frau, nachdem er durch sein Gartentürchen geschlendert war. Er wusste wahrscheinlich selbst nicht warum er sterben musste. In den Zeitungen stand, es sei wegen seiner Funktion in irgendeiner jüdischen Organisation gewesen. Ausreichend für ein Todesurteil. Wer wollte in so einer Zeit leben? Da lieber noch die Bomben von oben.   
    Wobei, Einschränkung: Nicht die, die jetzt gebaut wurden.   
    Neutronenbomben nannte sie ihre letzte Errungenschaft. Schlimmer als alles, was sie über Japan abgeworfen hatten. Eigentlich kein Wunder, dass die anderen dann auf den US-Präsidenten schossen. Aber der Cowboy überlebte ebenso wie er Papst.  
    Nur wenig gab uns in diesen Tagen Hoffnung. Das erste Space Shuttle vielleicht. Zwar würden wir wahrscheinlich doch nicht schneller als das Licht reisen, aber immerhin schickten wir jetzt etwas hinaus, das

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