Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
halbwegs nach Transportmittel und nicht nach Silvesterkracher aussah. Ein Schiff, das, wenn es eines Tages größer sein würde, vielleicht genug von uns wegbringen konnte, irgendwohin zu den Sternen, nachdem die Blocks im Osten und im Westen diese unsere alte Welt in tausend Stücke gesprengt hatten.
In solchen Zeiten, wenn das Ende der selben nahe schien, war es kein Wunder, dass wir die Feste feierten, wie sie fielen – Hochzeiten beispielsweise, wie die in England, wo der Prinz mit den abstehenden Ohren das Mädchen mit dem goldenen Haar und dem scheuen Lächeln heiratete. Solange es noch Schönheit gab, war nicht alles verloren, dachten wir und versuchten Hoffnung zu schöpfen.
1982
Das Hotel ging den Bach hinunter, so viel war klar. Der alte Präsident war gestorben, einer seiner Schwiegersöhne, ein schmieriger kleiner Anwalt, hatte das Kommando übernommen. Informell, versteht sich, denn offiziell leiteten es die zwei Töchter des Direktors, die eine Portiersloge, geschweige denn eine Werksküche in ihrem Leben nicht von innen gesehen hatten. Dem neuen Management ging es um das schnelle Geld, schließlich lebten wir in schnellen Zeiten. Das schnelle Geld kam wiederum aus der selben Quelle, aus der das Öl sprudelte. Und es wollte dorthin, wo auch das alte Geld zu Hause war. Also boten die Neuen die doppelten Zimmerpreise, mieteten sich und ihre Clans in ganze Stockwerke ein und brieten ihre Hammel in den Suiten des Hotels. Jeder Schaden wurde bezahlt, aber das alte Geld verschwand, weil der Hammelgeruch seinen Weg durch die Türschlitze, in die Kleiderschränke ihrer Suiten und in den Stoff ihfer Blazer fand. Kurz nach dem alten verschwand auch das neue Geld, zog dem alten nach und zurück blieb ein Haus, das nichts mehr war, außer so gut wie pleite. Also richtete das Management Boutiquen ein, veranstaltete Seminare, zog Zwischenwände und Zwischendecken ein, so dass man Angst haben musste sich die Stirn blutig zu schlagen, sobald man selbst die Scheitelhöhe von 1,75 Metern übertraf und versenkte das Hotel am Ring solcherart in eine Durchschnittlichkeit, die all denen weh tat, die sich an seine Vergangenheit erinnern konnten.
Ich blieb trotzdem.
Warum, wusste ich nicht.
***
“Es wird Zeit, dass Sie wechseln.”
“ Wechseln? Was wechseln?”
“ Den Job?”
“ Job? Welchen Job?”
“ Ihren. Sie müssen das Haus verlassen und zum 'Imperator' wechseln.”
“ Das Imperator? Das ist die Konkurrenz!”
“ Schon lange nicht mehr.”
“ Ich verstehe nicht.” Was nicht stimmte.
“ Die Häuser befinden sich schon lange nicht mehr auf dem selben Niveau, sind also auch keine Konkurrenten mehr. Das 'Hotel am Ring' ist am Ende und das wissen Sie.”
Ja, das wusste ich. Aber in meinem Alter noch wechseln ... bald würde ich 50 sein. Da wurde man nicht mehr genommen. Und vor allem: Als was? So sehr es mit dem Hotel bergab ging, hatte ich mir über die Jahrzehnte doch eine Position erarbeitet, die nicht einmal dieser Anwalt anzutasten wagte.
“ Man wird Sie im 'Imperator' als Chefportier einstellen, keine Sorge.”
“ Ich mache keine Nachtdienste mehr.”
“ Selbstverständlich nicht.”
Ich starrte auf den vor mir liegenden Aschenbecher. Wir saßen an der Hotelbar. Auch sie war renoviert worden. Es war jetzt schwierig mit dem Gesicht zum Tresen zu sitzen, weil die Tischplatte nicht weit genug über die vertikale Trägerfläche ragte. Man stieß sich das Knie. Ich hatte Dvorschak gefragt, wieso er plötzlich keine Sorge hatte, mit dem Rücken zum Raum zu sitzen. Er hatte nur mit den Schultern gezuckt.
“ Ohnehin niemand hier.”
Wir schwiegen eine Zeit.
Dann noch eine Zeit.
Dann sagte ich: “Hier werde ich obsolet, nicht wahr?”
Er nickte.
“ So, wie Sie, wenn es Abhörtunnel gibt?”
Er nickte.
Ich nickte.
“ In Ordnung.”
Wie wir waren
Der Papst rehabilitierte Galileo Galilei.
“ Der Stern” brachte die Hitler-Tagebücher heraus.
“ Der Spiegel” berichtete zum ersten Mal über AIDS.
Über die ersten beiden Nachrichten lachten wir uns die Hosen nass. Die dritte unterschätzten wir.
1984
Ich blickte auf die Uhr.
Die Zwillinge sahen gleichzeitig zu mir hinüber, allerdings nur kurz, dann blätterten sie wieder durch die Comics.
“ Es ist überall schon eines drinnen, das wir kennen!”, klagten sie.
“ Dann kauft eben keinen
Weitere Kostenlose Bücher