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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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denen die Hauptdarsteller offensichtlich Schuppen haben mussten, so fettig waren die Haare. Ich war ratlos.

1985 - 1986
     
     
    Alexander hat Probleme mit dem Sehen. An sich. Probleme zu fokussieren. Das Bild verschwimmt vor seinen Augen. Immer wieder. Kurz gelingt es ihm, sich auf den Mann in Uniform zu konzentrieren. Auf den Mann, der anscheinend sein Richter ist. Es ist eine bewusste Anstrengung, so als würde er eine Kameralinse einstellen. Es gelingt ihm nur für wenige Augenblicke. Er wird von zwei Soldaten flankiert. Alle Anwesende sind Offiziere. Auch der Mann der neben ihm sitzt und etwas auf ein Blatt kritzelt. Es gelingt ihm, sich ein paar Buchstabenfolgen, Worte einer Sprache, die er nicht versteht, frei von Sinn einzuprägen, wie einen binären Code, den er nicht entschlüsseln kann. Er gibt dieses Bemühen bald auf. Sein Schädel droht zu explodieren.   
    Er versteht die Sprache nicht, in der die Notiz gehalten ist.   
    Er versteht nicht, was der Richter zu ihm sagt.  
    Er versteht kein Wort  
     
     
    ***
     
     
    Er kann sich nicht mehr daran erinnern, wann ihm das letzte Mal warm gewesen ist. Die feuchte Kälte hat sich in Alexanders Knochen festgesetzt und foltert seine Gelenke. Er weiß, dass er stinkt. Alles stinkt. Auch seine Pritsche. Der abgestandene Körpergeruch, der in der Matratze hängt, ist nicht nur der seine.
     
     
    ***
     
     
    Alexanders Hinterkopf fühlt sich warm an. Und feucht. In seinem Mund der Geschmack von Metall. Blut von den Schlägen. Das Verhör. Sie wollen Dinge wissen. Dinge, von denen er kein Ahnung hatte. Er versucht sich aufzurichten. Ein stechender Schmerz, alles wird weiß. Er verliert beinahe das Bewusstsein, fällt mehr, als dass er sich bewusst zurücksinken lässt. Er klatscht in eine kühle Flüssigkeit. Der Metallgeschmack ist zurück. Jemand reißt ihn grob hoch. Das Weiß explodiert abermals vor seinen Augen. Er schnellt hoch, rammt seine Schädel in die Matratze über ihm, was ihm ein ärgerliches Grunzen seines Zellennachbarn einträgt. Er sinkt auf sein Lager zurück. Er hat Angst vor dem Traum. Angst davor, was er sieht, wenn das weiße Feuer vor seinen Augen erlischt und er wieder klar sehen kann. Er schläft ein, obwohl er sich dagegen wehrt. Kälte macht müde. 
     
     
    ***
     
     
    Der andere Gefangene stellt sich als Viktor Slawik vor. Slawik spricht gebrochenes Deutsch. Er erklärt Alexander, er sei politischer Gefangener. Er fragt den Österreicher wieso dieser in der CSSR und noch dazu im Gefängnis sei. Alexander erklärt, er sei ebenfalls ein Opfer politischer Justiz. Slawik nickt sorgenvoll. Sie beschließen, einander ihre jeweilige Muttersprache beizubringen. Slawik denkt, dass der Österreicher den größeren Nutzen aus dem Arrangement zieht. Er glaubt nicht, dass einer von ihnen das Gebäude als freier, lebender Mann verlassen wird. Nichts davon sagt er laut. Der Österreicher wird es früh genug selbst herausfinden. 
     
     
    ***
     
     
    Sein Zellengenosse Slawik bringt ihm das Wort “Vrazda” bei. “Mord”. Alexander gibt vor, das Vokabel nicht wiederzuerkennen. Er müsste erklären, wann er es gelesen hätte. Auch die Wörter “úředníka“ und  „pohraničního“ lehrt Slawik ihn. Er erklärt ihm, dass die Kombination der beiden Wörter „Grenzbeamter“ bedeutet. Auch diese Wörter erkennt er wieder. Auch das verschweigt er.  
     
     
    ***
     
     
    Bald verliert er sein Zeitgefühl. Wochen und Tage sind schwer zu unterscheiden. Niemand fragt nach ihm. Er wird nicht einmal misshandelt. Niemand holt ihn mehr aus der Zelle, um ihn zu schlagen oder seine Zigaretten an ihm auszudrücken. Keine neuen, nässenden Wunden. Niemand interessiert sich für ihn.  
    Er endet.
     
     
    ***
     
     
    Er glaubt, dass man ihn nicht schlimmer bestrafen kann. Er glaubt, dass sie ihn lebendig begraben haben. Er glaubt, dass man ihn nicht schlimmer bestrafen kann.  
    Er irrt.  
     
     
    ***
     
     
    Er marschiert über den glühend heißen Asphalt des Gefängnishofes. Hochsommer. Er reckt den Kopf in die Höhe. Die Sonne steht im Zenit. Er kann sie sehen. Er stellt sich vor, wie sie an den Mauern vorbei wandert, zum Horizont und darüber hinaus.  
     
     
    ***
     
     
    Er ist zu Hause. Carolina liegt neben ihm. Sanftes Frühlingslicht stiehlt sich durch die Rollläden. Seine Frau schläft noch. Seine Hand stiehlt sich über ihre Hüfte zu ihrer Brust, sie wacht auf, gurrt ihre Zustimmung. Slawik betritt das Schlafzimmer. Ohne

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