Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
versuchte, mich in den nackten Fels zu krallen. Aber sinnlos. Der Sog war unbezwingbar, erlaubte mir nicht, mich abzuwenden, packte mich in und an den Eingeweiden so dass ich emporgerissen wurde, aufrecht dasaß!
Und kotzte.
Mir die Seele aus dem Leib.
Irgendwann war ich fertig.
„ Scheiße“, röchelte ich.
„ Kotze.“
Sagte es.
Direkt hinter mir.
Kurzer Aufschrei. Um die eigene Achse wirbeln. Herzrasen. Atem verschlagen. Langsames Beruhigen.
Vor mir eine Sphinx.
„ Was...?“
Die Sphinx verdrehte die Augen, schüttelte leise den Kopf.
"Es ist wohl noch immer nicht vorbei, oder?“
„ Wie bitte, … was genau?“
„ Dieses Zeitalter.“
„ Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“
„ Das meine ich ja.“
„ Wo bin ich?“
„ Was ist das für eine Frage?“
Schweigen. Die Sphinx macht es sich auf ihrem Löwenbauch bequem, ihren Kopf stützte sie auf ihre Tatzen. Sie schloss die Augen. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte gedacht, sie nähme ein Sonnenbad. Doch, noch einmal darüber nachgedacht: Wer weiß?
Ich räusperte mich.
Keine Reaktion.
Ich räusperte mich.
Nichts.
„ Entschuldigen Sie bitte?“
Die Sphinx öffnete träge ihre Augen. Den Kopf bewegte sie nicht. Den Mund schon gar nicht. Stattdessen zog sie ihre rechte Augenbraue müde hoch.
„ Nehmen Sie ein Sonnenbad?“
„ Ein was?“
„ Ein Sonnenbad.“
„ Erstens: Was geht Sie das an? Zweitens: Wie uninteressant können Sie werden?“
„ Ich verstehe nicht...“
„ Das ist ja genau das Problem!“, ereiferte sich das Wesen. Es wuchtete sich hoch, zeigte mit einer Vordertatze anklagend in meine Richtung. „Genau. Das. Ist. Das. Problem!“
„ Ich verstehe ...“ Ich biss mir auf die Lippen. „Vielleicht können Sie mir ja erklären, was ich nicht verstehe.“
„ Wo anfangen?“
„ Am Anfang?“
„ Wie gewandt.“
„ Leider nicht von mir.“
„ Dachte ich mir.“
Ich sagte nichts. Es gab ja nichts. Sie hatte ja recht. Nichts verstand ich. Gar nichts.
„ Ah!“
„ Wie bitte?“
„ Ah!“
„ Ich höre, aber ich verstehe nicht.“
„ Ich meine ’Ah’ im Sinne von: ‚Hör, hört.’“
„ Was genau?“
„ Wie: ‚Was genau?’“
Mir war nach Schreien und Hysterie, der guten Form halber atmete ich aber lieber durch und fragte: „Was meinen Sie genau mit ‚hört, hört‘?“
„ Ach das.“ Sie nickt verständnisvoll.
Ich hätte ihr gerne eine Kopfnuss verpasst. Aber sie war doch unverhältnismäßig größer als ich, hatte vier Tatzen, ausgestattet mit Krallen und außerdem ein Paar Flügel, was alles zusammengenommen auf einem schmalen, engen Gipfel oberhalb der Wolkendecke, die eine oder andere Impertinenz im Allgemeinen ungestraft durchgehen lässt.
Also: Keine Kopfnuss.
„ Der Gedanke.“ Sagte sie.
„ Ich gebe auf.“
„ Wie nicht anders zu erwarten war.“
Achselzuckend wandte ich mich ab. Setzte mich an den Rand der Plattform. Ließ die Beine über dem Abgrund baumeln. Blickte auf die weiße Wolkendecke, die sich da, wer weiß wie viele Meter unter mir auftat und wer weiß wie viele Meter darunter verdeckte. Gnädig verdeckte, wie ich mir angesichts meiner Höhenangst dachte.
Die Zeit tickte friedlich vor sich hin, tick.
Tack.
Tiick.
Taack.
Tiiick.
Meine Hand, meine Finger fuhren über den schottrigen Felsboden, zeichneten Schlangen, Spiralen, Kreise. Gedankenverloren, nahm ich einen Kieselstein auf, sah ihn an, gegen das Blau des Himmels, das Grau des Steinchens, fühlte es kaum zwischen den Kuppen, denn die Kühle wandelte sich zu Kälte, oder vielleicht wandelte sich nur meine Körperwärme zu Kühle.
Aber war es nicht nicht kalt und nicht warm?
Wer wusste das schon.
„ Hört, hört.“
Ich zucke zusammen. Wie ein Messer durch Butter hat die Stimme der Sphinx durch die kalte (nicht-kalte?), alles umfassende, alles bedeckende Stille geschnitten. Kurz überlegte ich, mich umzudrehen, mich dem seltsamen Wesen zuzuwenden. Doch ließ ich es bleiben.
Keine Zugeständnisse.
Zumindest jetzt nicht.
Vielleicht später.
Falls es kälter wurde.
Aber jetzt nicht.
Der Rücken blieb der Sphinx zugewandt.
Zugewandt.
Zugewandt.
Tick.
Tack.
Tiick.
Taack.
Der kleine Kiesel.
Tiiick.
Taaack.
Tiiiick.
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