Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
wunderbaren Rotton. Sie war in schmale rechteckige Felder aufgeteilt, die oben und unten von schwarzen und lindgrünen Partien begrenzt wurden. Auf die senkrechten Mittelstreifen waren hohe schlanke Kandelaber gemalt, deren Schäfte mit Schirmchen dekoriert waren, an denen Fabelwesen herumturnten oder Zierrat herabhing. Die Bemalung der Wände war aufgefrischt worden, wenn auch nicht immer sonderlich kunstfertig. Sie stammte noch aus der römischen Zeit der Villa, und früher hatte Wittiges das Wissen, dass sein Haus eine Geschichte hatte, deren sichtbare Zeichen er hegte und pflegte, mit Stolz erfüllt. Jetzt war das nicht mehr wichtig. Alethas langes Haar lag auf dem Kissen ausgebreitet, das Schwarz betonte die unnatürliche Blässe ihrer Haut, die die Nähe des Todes ahnen ließ. Wittiges machte sich keine Illusionen, ihm sollte alles genommen werden. Gott kannte keine Gnade. Voller Schmerz betrachtete er das schöne Gesicht mit den perfekt geformten Augenbrauen, dem üppigen, sinnlichen Mund und den immer noch jugendlich runden weichen Wangen. Wie sehr er seine Frau doch liebte! Und wie sehr ihn diese Liebe nun krank machte, weil er an ihr schuldig geworden war.
Statt die Fibel der Awarin wegzuwerfen, bewahrte er sie weiterhin auf, stach sich aber nicht mehr damit in die Handfläche. Wenigstens von diesem Irrsinn war er losgekommen, seit Aletha seine Hand betrachtet hatte.
Sie bewegte sich unruhig im Schlaf, als spürte sie die Beobachtung, dann schlug sie unversehens die Augen auf. Schweigend sahen sie sich an.
„Wie lange bist du schon hier?“, flüsterte sie.
Die Angst um sie schnürte ihm die Kehle zu, während sich ihre Augen langsam mit Tränen füllten. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie. „Ich habe versagt.“
Erst begriff Wittiges nicht, was sie meinte, bis ihm das verlorene Kind einfiel. Immer noch schweigend, legte er sich neben sie, den Oberkörper an das hohe Kopfteil des Bettes gelehnt, und zog sie an sich.
Lange schwiegen sie, und er lauschte ihren zittrigen, von Seufzern unterbrochenen Atemzügen.
„Hast du große Schmerzen?“, fragte er schließlich.
„Ich hätte es dir längst erzählt, aber ...“
Es war seine Schuld, dass sich Entfremdung bei ihnen eingeschlichen und Aletha daran gehindert hatte, ihm von dem Kind zu erzählen. Oder gab es noch etwas anderes? Er strich ihr begütigend übers Haar und drückte mit einer wehen Zärtlichkeit die Lippen darauf. „Du musst mir nichts sagen ...“
„Doch, du sollst es wissen“, wisperte sie. „Ich hätte verhindern müssen, dass sie Felix mitnahm.“ Sie bäumte sich auf. „Ich hätte es unter allen Umständen verhindern müssen.“ Er wollte ihr die Hand auf den Mund legen, denn er wollte nicht, dass sie sich aufregte, aber sie drehte den Kopf weg und sprach rasch weiter. „Erst dachte ich mir nichts dabei. Brunichild hat für Felix und Bertho völlig gleiche Kleidung nähen lassen, wirklich schöne und kostbare Gewänder - gefertigt aus unseren Stoffen! Du weißt, die Jungen sehen sich ein wenig ähnlich, und in dieser Kleidung ...“
Nun war er ganz Ohr. „Was hat das ...“
„Am Tag, bevor sie abreisten, hab ich die beiden gesehen. Sie spielten in ihren neuen Tuniken unten im Hof und waren nicht auseinanderzuhalten ... zumal ..., jetzt weiß ich es: Brunichild hatte Bertho Stiefel anfertigen lassen, die ihn größer machten. Es gab nicht einmal mehr den Größenunterschied! Und ich glaube, Berthos Haar war dunkler gefärbt, dunkel wie das von Felix.“
Erschöpft hielt sie inne und legte mit einem leisen Wimmern eine Hand auf ihren Leib. Wittiges starrte die gegenüberliegende Wand an. Die seltsamsten Gedanken schossen ihm durch den Kopf, alle drehten sich um Brunichild, die Königin, an die er sich auf eine ganz besondere Weise gebunden fühlte, seit sie beide zusammen ihre Heimat Spanien verlassen und sich trotz größter Widrigkeiten einen Platz in diesem Land erkämpft hatten. Was für eine Schlange war sie doch! Was für eine hundsgemeine Sache hatte sie da ausgeheckt!
„Sie hat es darauf angelegt, dass die beiden verwechselt wurden. Natürlich, das ist sonnenklar.“
„Ich hab’s nicht glauben wollen. Vergib mir, aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben.“
„Das bedeutet, sie hat unseren Sohn für Berthos Sicherheit geopfert und alles dafür Erforderliche genau geplant.“
Aletha schluchzte, schmiegte sich in seine Arme und drückte wie ein kleines, schutzbedürftiges Kind den Kopf an seine
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