Der Hüter des Schwertes
überschütten würde.
»Ich werde dich verfolgen«, knurrte Havrick.
»Das könntest du versuchen. Aber du wirst wohl zu spät kommen. Bis du zurück in Wollin bist, neue Pferde gefunden hast und deine Männer hier befreit hast, bin ich längst in Rallora«, sagte Martil in der Absicht, sein wahres Ziel zu verschleiern.
Havricks Augen funkelten vor Hass, und er schwitzte inzwischen stark. Ihm war klar geworden, dass die Beschämung, diese Demütigung erklären zu müssen, einem schmerzhaften Tod vorzuziehen war. Martil steckte ein Schwert in die Scheide und half Karia abzusteigen.
»Warte einfach hier«, sagte er ihr mit einem ermutigenden Lächeln, als sie ihm nervös zunickte. Er zog sein Messer und schnitt vorsichtig die Zügel von Havricks Pferd durch, damit der Leutnant das Pferd nicht mehr beherrschen konnte. Dann nutzte er die Lederriemen, um dem Mann die Hände zu fesseln, und band sie am Sattelknauf fest.
»Ich habe das Drachenschwert nicht, Leutnant. Aber ich lasse mich nicht gern zum Narren halten. Wenn du wieder bei deinem Regiment bist, lass dir von Kriegshauptmann Martil aus Rallora erzählen. Dann wirst du feststellen, welches Glück du hattest«, erklärte er ihm.
Havrick öffnete den Mund und wollte sagen, dass Martil den Tag verfluchen werde, an dem er Leutnant Havrick von den Norstaler Jagdreitern gedemütigt habe. Aber bevor er zu Wort kam, schlug Martil dem Pferd aufs Hinterteil. Das Tier galoppierte in Richtung Wollin los; Havrick hatte große Mühe, im Sattel zu bleiben.
Martil vergewisserte sich noch, dass die übrigen Reiter gut gefesselt waren, und nickte zufrieden. Sie würden nicht entkommen. Sie beobachteten ihn schicksalsergeben. Schließlich konnten sie nirgendwo anders hinschauen, weil sie an Bäume gefesselt waren.
Martil winkte ihnen zu, hob Karia aufs Pferd und ritt auf Tomon im Trab davon, nur für den Fall. Er schätzte, dass Havrick nicht vor Einbruch der Nacht in Wollin eintreffen würde. Dann musste er erst neue Pferde finden und wieder hierher zurückkehren, um seine Männer zu befreien. Bis dahin würde er schon ein ganzes Stück weiter sein.
Er bezweifelte, diesen Leutnant jemals wiederzusehen. Zunächst einmal würde der Mann in der falschen Richtung suchen. Aber um sicherzugehen, kehrte Martil der Hauptstraße den Rücken und beschloss, einen umständlicheren Weg nach Osten einzuschlagen. Er würde etwa einen Tag länger brauchen, aber dafür konnte er tief und fest schlafen.
Sie fanden ein kleines Dorf, wo sie übernachten konnten, als die Sonne gerade unterging. Es hätte Chell sein können, allerdings hatte es ungefähr zwanzig Häuser weniger. Da es abseits der Hauptstraße lag, war das Wirtshaus des Dorfes klein und der Gastwirt hocherfreut, dass Gäste kamen. Die Mahlzeit, die er auftrug – fettiger Hammeleintopf mit grob geschnittenem Brot –, war kaum mit der Pastete aus dem Spatz und Krone zu vergleichen. Und in ihrem Zimmer stand lediglich ein großes, rohes Bett. Statt eines Bades gab es eine angeschlagene Schüssel und einen Krug kalten Wassers. Die Grube mit dem Abtritt befand sich draußen hinter dem Haus. Aber es war besser, als im Wald zu schlafen.
Sie könnten noch auf der Hauptstraße sein und in einem großen Gasthof absteigen, wenn er Havrick nicht gedemütigt hätte. Dort würde es feinere Speisen geben und bessere Zimmer. Martil hatte die Beherrschung verloren, und jetzt mussten sie mit den Konsequenzen leben. Schon wieder. Das einzig Gute daran war, dass die Wahrscheinlichkeit, auf einen Barden zu treffen, der noch mehr verdammte Geschichten erzählte, sehr gering war.
Eine Sache hatte sich jedoch nicht geändert. Es wurde über das Drachenschwert gesprochen. Hier waren keine Soldaten gewesen, um danach zu suchen, wie Martil erleichtert erfuhr. Trotzdem waren die Menschen im Ort, unweit der Grenze zu Tetril, etwas ängstlich. Offenbar waren zu Zeiten König Riels an dieser Grenze viele Schlachten ausgetragen worden. Martil, der erlebt hatte, wie ein Heer in sein Land eingefallen war und seine Heimat verwüstet hatte, musste sich beherrschen, nichts Verächtliches zu sagen. Wenn die Heimat eines Mannes bedroht war, dann nahm er sich eine Waffe und verteidigte sein Land; er setzte sich nicht in ein Wirtshaus und jammerte. In vielen Jahren des Friedens hatten die Norstaler anscheinend vergessen, wie man für sich selbst einsteht, überlegte er. Und es wurde noch schlimmer, denn im Laufe des Abends verwandelte ihre Angst sich in
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