Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
reißt. Sie sammelt die Fotos ein. »Wenn das so ist, müssen wir die Fotos eben doch ans »Tagblatt« geben.«
Aber da will die Ortsbäuerin dann doch lieber noch einen Versuch machen. »Das da zum Beispiel, das ist die Christa, aber Sie werden sie heute kaum mehr erkennen, das Foto muss schon ein paar Jahre alt sein, vor einem Vierteljahr ist das zweite Kind gekommen, der Mann hat eine Neue, eine Sekretärin, die ist beim Luethi im Büro …«
Ja, so mag das sein, denkt Tamar, und vielleicht ist an all diesen Fotos nichts weiter, als dass einer sagt: Ach Gott! So hat die einmal ausgesehen…
»Und das da ist die Carmen, eigentlich ein nettes Mädchen, schafft jetzt als Bedienung in Blaubeuren…«
Im Konferenzraum der Kreissparkasse Wintersingen sitzen um den runden Besprechungstisch, der nach Mooreiche finnisch aussieht, der Kriminalkommissar Kuttler und ein Kollege vom Dezernat Wirtschaftskriminalität im Gespräch mit dem Sachbearbeiter der Bank. Das heißt, ein Gespräch ist es nicht eigentlich, denn Kuttler wartet, dass der Kollege die Kontoauszüge des verstorbenen Eugen Hollerbach durchgesehen hat. Der Bankkaufmann trägt einen gelben Binder zu einem weinroten Jackett und hat sein Gesicht in bekümmerte Falten gelegt, denn das weiß man doch, dass das nicht gut ausgeht, wenn einer jahraus, jahrein am Limit vom Überziehungskredit herumschrammt.
»Also Kollege«, sagt der Kollege vom Dezernat Wirtschaftskriminalität schließlich und schiebt die Auszüge, die er studiert hat, über den Tisch zu Kuttler, »dafür braucht ihr mich nicht. Der hier war ein armer Schlucker, ständig pleite, und wenn er irgendwo ein paar Mäuse schwarz verdient hat, dann wird es nicht der Rede wert gewesen sein.«
Kuttler sagt, dass ihn das nicht überzeugt. »Ist das sicher, dass der sich nicht bloß vorm Finanzamt tarnen wollte?«
»Ach, das Finanzamt!«, antwortet der Kollege. »Unser Freund hat nicht mal so viel verdient, dass es das Papier für die Steuererklärung gelohnt hat. Sehen Sie« – er holt sich einen der Auszüge zurück – »sobald er nur ein paar Mark über dem Limit war, hat er’s abgehoben. Keiner, der mehr als nur ein paar Mark nebenbei hat, mutet sich eine solche Würgerei zu.«
Aus dem weinroten Jackett räuspert es sich. »Auch wir hatten den Eindruck, dass Herrn Hollerbachs finanzielle Verhältnisse sehr beengt waren, um es vorsichtig zu sagen. Aufs Äußerste beengt… In letzter Zeit hatte er ja gehofft, sein Haus verkaufen zu können, leider hatten wir ihm da keine Hoffnungen machen können, oder nur wenig…«
Kuttler horcht auf. Hollerbach wollte verkaufen?
»Ja«, fährt der Bankmensch fort, »keine Hoffnungen, leider, das Haus war ja eigentlich nur ein Häuschen, Siedlungsbau der Fünfzigerjahre, äußerst bescheidener Wohnkomfort. Manche unserer Kunden haben aus diesen Siedlungshäuschen ja ganz zauberhafte Heimstätten gemacht, my home is my castle, könnten unsre Schwaben sagen, wenn sie englisch reden würden, aber Herrn Hollerbach war das weniger gegeben, er war ja mehr ein Mann der Feder, und außerdem waren da die beiden Hypotheken, also für eine finanzielle Sanierung schien uns nur ein geringer Spielraum gegeben…« Das Häuschen wolltet ihr ihm abnehmen, für fünf Mark und ein paar Zerquetschte, denkt Kuttler und unterbricht. »Hollerbach wollte weg von Lauternbürg?«
»Wenn Sie das so fragen«, antwortet der Sachbearbeiter, »dann hatten wir auch diesen Eindruck, allerdings. Er wolle sich beruflich noch einmal verändern, sagte er mir, einen neuen Anfang machen…«
»Wann haben Sie mit ihm darüber gesprochen?«
»Ich glaube, das war bei unserem letzten Gespräch, also das ist keine vierzehn Tage her.«
Über eine vierspurig ausgebaute Bundesstraße rollt das Taxi durchs Neckartal, vorbei an Ansiedlungen, die sich über Hänge und Anhöhen ausbreiten. Von Zeit zu Zeit wirft der Fahrer einen misstrauischen Blick in den Rückspiegel, sein Fahrgast hat einen Hund bei sich, einen großen gelben Köter, der schon beim Einsteigen am Plochinger Bahnhof nur mit Mühe davon abzuhalten war, auf den Rücksitz zu springen.
Schließlich verlässt der Fahrer die Bundesstraße und steuert eine Ortschaft an. Eine restaurierte Weinkelter, Fassaden aus Glas und Stahl und freigelegtem Fachwerk berichten von der Dorfsanierung in den Achtzigerjahren. Die Fahrt endet in einer Nebenstraße, das Taxi hält vor einem Reihenhaus, in dessen verwildertem Vorgarten Dolden von
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