Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Boden sind die Profile deutlich zu erkennen. Ein zweiter Techniker ist dabei, Abdrücke zu nehmen.
»Vermutlich ein Landrover«, sagt sein Kollege, »der Reifentyp könnte zu einem Daimler passen.«
Jedenfalls kein Opel mit schwarzen Scheiben, denkt Kuttler.
Das Anwesen der Ringspiels ist ein Aussiedlerhof, halb auf einer Anhöhe über dem Lautertal gelegen. Tamar hat ihren Dienstwagen auf dem gepflasterten Hof abgestellt und sieht sich um. Eine Tigerkatze nähert sich ihr mit aufgeplustertem Schwanz und drückt sich an ihre Beine. Die Ringspiels halten Milchvieh, aber auf dem ganzen gepflasterten Hof ist kein einziger Kuhfladen zu sehen. Das Wohnhaus ist neu und weiß und versucht auch nicht, wie ein Berner Landhaus auszusehen. Ein Schild zeigt freie Ferienwohnungen an.
Von den Stallungen kommt die Ortsbäuerin Waltraud Ringspiel auf sie zu. Sie trägt Jeans und Gummistiefel und begrüßt Tamar, ohne dass diese die Vier-Finger-Hand drücken muss. Tamar wird in das Haus gebeten und dort in ein kleines Büro, in dem sich ein Computer befindet, ein Regal voller Aktenordner und an der Wand neben einem Kalender die Meisterurkunden des Ehepaars Ringspiel.
Das hat sie schon gewusst, sagt Waltraud Ringspiel, dass sie noch einmal mit der Frau Kommissarin wird reden müssen, es hat ja gleich nicht gut ausgesehen, aber was redet sie da! Wenn eins tot ist und noch so schrecklich verbrannt, was soll da gut aussehen… Aber die ganze Nacht hat sie kein Auge zugetan, und sie weiß es wirklich nicht, wie sie es den jungen Frauen sagen soll, überhaupt weiß sie ja nicht genau, welche zum Hollerbach gegangen ist, eigentlich weiß sie es überhaupt nicht…
Tamar holt schweigend den Stapel mit den Vergrößerungen heraus, fächert ein paar davon auf und legt sie der Ortsbäuerin auf den Schreibtisch.
Waltraud Ringspiel wirft einen Blick darauf, dann legt sie die linke Hand auf ihren Mund. »Oh du lieb’s Herrgöttle von Biberach«, sagt sie schließlich und ringt sich dazu durch, die Aufnahmen dann doch eine nach der anderen vom Tisch zu nehmen und eingehender zu betrachten.
»Hat der das so fotografiert?«, fragt sie schließlich.
»Nein«, antwortet Tamar, »unser Labor hat Ausschnitte gemacht und die dann vergrößert.«
»Aber so wird’s schier gar noch schlimmer«, wendet die Ortsbäuerin ein.
»Das war auch mein erster Eindruck«, sagt Tamar. »Aber« – und ihre Stimme bekommt plötzlich einen sehr kühlen, gleichgültigen Klang – »wenn es gar nicht anders geht, werden wir die Fotos im ›Tagblatt‹ veröffentlichen müssen, Überschrift: wer kennt diese Frauen…«
»Das da? Im ›Tagblatt?‹«, fragt die Ortsbäuerin zurück. »Das meinet Sie net im Ernst.« Sie sucht nach einem Wort. Schließlich hat sie es: Jugendgefährdend wäre es, und die armen dummen Dinger könnten sich nicht mehr auf die Straße trauen, keinen Tag mehr!
»Dann machen wir es, wie ich es Ihnen gestern vorgeschlagen habe«, meint Tamar. »Sie rufen diese Frauen an und sorgen dafür, dass sie zu mir nach Ulm kommen. Oder Sie sagen mir gleich, wen Sie davon kennen und wer es ist.«
»Die kratzet mir die Augen aus«, antwortet die Ortsbäuerin, wie aus der Pistole geschossen.
»Hören Sie, ich werde denen doch nicht sagen, von wem ich die Namen habe«, erklärt Tamar. »Ich kann das Foto vorzeigen und habe die Frau, von der es gemacht wurde, vor mir sitzen. Da kann es nicht mehr so sehr das Thema sein, wie ich an die Adresse gekommen bin. Vielleicht hat Hollerbach ja auch Notizen hinterlassen.«
Die Ortsbäuerin wirft einen flehentlichen Blick zur Decke. Die Kommissarin müsse doch wissen, wie die Frauen sind. »Da findet doch jede ein Fädle, an dem sie rumzupfen kann, und dann hört sie nicht mehr auf, bis alles aufgeriefelt ist.«
Noch einmal versichert Tamar, dass sie ihre Informantin auf keinen Fall preisgeben wird. Immerhin gehört der Informantenschutz zum Handwerk der Polizei, das dürfe ihr die Frau Ringspiel nun wirklich glauben. Seufzend sieht die Ortsbäuerin die Fotos noch einmal durch.
Das Ergebnis ist enttäuschend. »Also nein«, sagt sie, »diese Gesichter, die diese dummen Dinger schneiden, wenn bei den Landfrauen eins so schaut, täten wir ihr gleich ein Glas kaltes Wasser bringen…« Sicher ist sie sich eigentlich nur, wenn jemand nicht von Lauternbürg ist, der Stapel der angeblich auswärtigen und leider gänzlich unbekannten Kundinnen von Hollerbach wird immer größer, bis Tamar der Geduldsfaden
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