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Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Titel: Der Hund des Propheten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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maschinengeschriebenes Manuskript auf seinem Tisch liegen. Maschinengeschrieben! Der Müllermeister Silvester Schafkreutz hatte Finger wie Bratwürste… Also werde ich neugierig und will doch sehen, wie hoch die Trefferquote bei Silvesters neuen Schreibkünsten ist, aber siehe da! Es ist ein völlig fehlerfreier Text, durchaus professionell, zweizeilig getippt, sehr eloquent, mit Anweisung für die Aussprache, da steht dann zum Beispiel: Wir fordern eine faire – sprich: fähre – Behandlung der unbescholtenen Einwohner von Lauternbürg … Ich habe mir sonst Silvesters Reden gerne angehört, er hatte einen eigenen Ton, eine holzgeschnitzte Beredsamkeit, in keinem Parlament gibt es so etwas heute noch. Die Rede, die er vorlas, war schwächer als sonst. Aber zuverlässig wie ein Mahlwerk hat er alles vorgelesen, was man ihm aufgeschrieben hatte, hat auch brav ›eine fa-ire sprich fähre Behandlung‹ verlangt. Nur ein- oder zweimal ist er ins Extemporieren verfallen…« Walz wirft sich in die Brust und intoniert im nasalen Klang des Lautertaler Schwäbisch: »Ja kreuziget nur, heißt es jetzt in Rommelfingen. In der Karwoche wär’s ein Passionsspiel, der Bürgermeister gibt den Judas, seine Gemeinderäte sind die Schriftgelehrten und der Herr Landrat von Ulm gastiert als Pontius und wäscht seine Hände in der Donau. Nur dem Häscher hat noch keiner ein Ohr abgehauen…«
    Walz lehnt sich wieder zurück. »Und das hat schon genügt«, fährt er in seinem gewohnten Tonfall fort, »dieser Müllermeister hat der räudigen Katze des Rassismus die folkloristische Schelle umgehängt, das konnten dann alle komisch finden, und weiter war nichts dabei.«
    »Bis auf den Häscher«, sagt Berndorf, »der wird es nicht so komisch gefunden haben. Wer den Text aufgesetzt hat, weißt du nicht?«
    »Sicher weiß ich das«, antwortet Walz fröhlich, »es war der Landrat von Wintersingen, sein Briefkopf stand ja oben auf dem Entwurf, ein Dr. Sowieso Autenrieth, er hat dann ja auch auf die Versetzung von deinem Propheten Jonas gedrängt. Im Innenausschuss haben sie es zugegeben. Der Landrat von Wintersingen hätte darauf hingewiesen, dass Seiffert der rechtstreuen Bevölkerung des Landkreises nicht mehr vermittelbar sei und er zu seinem eigenen Schutz mit einem weniger sensiblen Aufgabenbereich betraut werden sollte.« Walz bricht in ein kurzatmiges Altmänner-Lachen aus. »Die rechtstreue Bevölkerung! Das Wort hat mich lange verfolgt.«
     
     
    Tamar sitzt in einer vom Glas und Chrom der Apparaturen spiegelnden Wohnküche, auf einem schmalen Barhocker aus Stahl und schwarzem Leder, den rechten Arm auf den Tresen gelegt, der den Arbeitsbereich mit Herd und Grill und Spüle umgibt. Die Schiebetür zum Wohnzimmer mit der hellen Ledergarnitur ist aufgeschoben, auf dem Teppich spielt ein dreijähriges Kind mit einer Barbiepuppe und schaut von Zeit zu Zeit zu Tamar, ob sie ihr auch zusieht. In einem Kinderbett, das neben den Tresen geschoben ist, schläft ein Säugling.
    Der Frau, die gerade einen Kocher einschaltet, um die Babyflasche zu sterilisieren, sieht man die beiden Kinder nicht an. Was Tamar der Frau ansieht, ist Kummer, Bitterkeit, Resignation.
    Ja, dann kommen Sie halt, hatte sie am Telefon gesagt, und so war Tamar nach Schmiechen gefahren, eine Gemeinde auf halbem Weg zwischen Lauternbürg und Blaubeuren gelegen, zu einem unverputzten Doppelhaus.
    Sie schiebt einen der Abzüge, den das Fotolabor gemacht hat, über den Tresen. Die Frau wischt sich die Hände ab und sieht das Foto an und lacht verächtlich. Eigentlich ist es kein Lachen, sondern nur eine Art Schnauben.
    »Wo haben Sie das her?«
    Tamar erklärt es.
    »Und wer hat Ihnen gesagt, dass ich das bin?«
    »Sind Sie doch.« Na ja, denkt Tamar. Das Foto zeigt das volle Gesicht eines sehr jungen Mädchens, einen Finger an den Mund gelegt. Tamar versucht einen zweiten Anlauf. »Wir haben das Negativ von diesen und anderen Aufnahmen bei Hollerbach gefunden. Die Negative waren nicht verbrannt. Ich nehme an, er hat Ihnen erzählt, er würde die Negative vernichten. Und er wird Sie auch nicht nach dem Namen gefragt haben, man kennt sich ja auf dem Land. Aber wie das so ist. Er hat die Negative nicht vernichtet. Glauben Sie denn wirklich, er hat sich da nicht auch Notizen gemacht?«
    »Das sieht ihm ähnlich«, sagt die Frau, deren Mann schon wieder eine Neue hat, wie die Ortsbäuerin weiß. »Auf den Fotos war aber mehr drauf, glauben Sie bloß nicht, dass mich das

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