Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Berndorf stochert in seinem Rührei. »Am Heizofen lag’s also nicht.«
»Hollerbach ist durch einen Handkantenschlag getötet worden«, antwortet Tamar. »Kovacz hat es mir gesagt.«
Ein Handkantenschlag. Das hat man auch nicht alle Tage, denkt Berndorf. »Und Englin ist ein wenig echauffiert, sagten Sie? Weil ich im »Tagblatt« ein paar Kopien gezogen habe?« »Echauffiert?«, fragt Tamar zurück. »Wenn Sie es so nennen wollen. Aber im Ernst – was ist das für eine Geschichte, und warum interessieren Sie sich dafür?«
»Weil mich Hollerbach danach gefragt hat«, antwortet er. »Aber das habe ich Ihnen doch erzählt.«
»Das haben Sie nicht«, sagt Tamar. »Sie sagten nur, dass Hollerbach Sie nach Jonas Seiffert gefragt hat, nach seiner Zeit in Stuttgart und warum er dorthin versetzt worden ist.«
»Seiffert war versetzt oder weggelobt worden, weil er sich mit den braven Leuten aus Lauternbürg angelegt hatte«, antwortet Berndorf. »Nur wollte ich darüber nicht mit Hollerbach reden. Genaue Auskunft hätte ich ihm ohnehin nicht geben können. Die Sache liegt vierzig Jahre zurück, und ich kenne sie nur aus zweiter Hand. Zum Glück hat es dann den Auflauf wegen dieses Hundes da gegeben.«
Felix hat sich unter den Schachtisch gezwängt. Berndorf nimmt einen Schluck Tee und wirft dabei einen beiläufigen Blick auf seinen Gast. Tamar betrachtet ihn schweigend. Die glaubt dir nicht, stellt er fest, überrascht und fast belustigt. Warum erzählst du ihr nichts von dem, was Jonas gesagt hat? Weil es nichts davon zu erzählen gibt. Jonas hat anders entschieden.
»Sie müssen das verstehen.« Er versucht ein Lächeln. Es wird nicht erwidert. »Als ich erfuhr, dass Hollerbach tot ist, habe ich mir natürlich Fragen gestellt. Warum hat er mich auf diese alte Geschichte angesprochen? Und was hat sich damals, vor vierzig Jahren, wirklich zugetragen? Deshalb, und aus keinem anderen Grund, bin ich zum ›Tagblatt‹ gegangen.«
»Also fragen ausgerechnet Sie«, wirft Tamar ein, »nach eben dem Ordner, den ausgerechnet der tote Hollerbach ausgeliehen hat. Verstehen Sie nicht, dass Englin hohl dreht?«
Berndorf zuckt die Achseln. »Englin dreht hohl, weil er nicht das Kamel sein will. Das Kamel, das das Gras abfrisst, das man so sorgfältig über diese Geschichte hat wachsen lassen.« Er steht auf und geht zu seinem Schreibtisch und holt eine der Kopien, die ihm der Archivar gemacht hat. »Hier – der Abgeordnete Schafkreutz fordert eine ›faire Behandlung‹ der unbescholtenen Einwohner von Lauternbürg, schreibt das ›Tagblatt‹. Überall in diesem rechtschaffenen Musterland war man um den guten Ruf von Lauternbürg besorgt, auf den guten Ruf der Zigeuner kam es ja nicht an, die haben keinen guten Ruf bei den Rechtschaffenen. Und auch der gute Ruf des Polizisten Jonas Seiffert zählte nicht weiter. Polizisten werden dafür bezahlt, dass sie sich bei Bedarf auch verheizen lassen. Man hat ihn nach Stuttgart wegbefördert und das Verfahren eingestellt. Ich nehme an, auch der Sinti-Familie wurden ein paar Mark zugesteckt, damit sie Ruhe gab …«
»Trotzdem verstehe ich nicht«, unterbricht ihn Tamar, »warum Hollerbach dieser alten Geschichte nachgeschnüffelt haben soll. Er hat in Lauternbürg gewohnt und gelebt und war darauf angewiesen, dass ihm die Leute dort etwas zu schreiben und zu fotografieren geben…«
Sie macht eine kurze Pause und denkt lieber nicht an die Abzüge, die sie sich heute Morgen im Labor angesehen hat. Die Ausschnitte zeigen Gesichtspartien mit geschlossenen Augen und leicht geöffneten Mündern, die Köpfe zurückgelehnt oder zur Seite gewandt, in nachgeahmter Verzückung, als seien es Aufnahmen von Straftäterinnen, die bei der erkennungsdienstlichen Behandlung einen Orgasmus vorzuspielen gezwungen worden waren.
»Ich weiß nicht, wem Hollerbach nachgeschnüffelt hat und warum. Ich muss es auch nicht wissen«, gibt Berndorf zurück. »Ihr müsst es herausfinden. Mich interessiert nur Jonas. Aber wenn wir schon dabei sind – Sie haben mir gestern gesagt, Hollerbach habe auch fotografiert und ein eigenes Labor gehabt. Was waren denn das für Fotos?«
»My dear Watson«, sagt Tamar und verzieht den Mund. »Sie können es sich doch selber denken. Wozu hatte er wohl ein eigenes Labor? Der Mann hat Aktfotos gemacht, das Fotostudio war in seiner Waschküche, alles wie in den Siebzigerjahren, für einen Camcorder wird das Geld nicht gereicht haben. Gut möglich, dass eines dieser Fotos
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