Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
geniert.« Ein herausfordernder Blick trifft Tamar. »Ich könnt noch heute welche machen lassen.«
Wieder einmal will Tamar wissen, ob von den Fotos jemals welche in falsche Hände geraten sind. Oder ob es sonst Ärger gegeben hat damit.
»Mit denen hier nicht«, antwortet die Frau und deutet auf den Abzug. »Ich hab sie dem meinigen wieder abgenommen, er hat es nicht einmal gemerkt, dass sie ihm fehlen.«
Sie verzieht das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse. »Aber das will nichts heißen. Der wär uns am liebsten alle los.«
Quäkend wacht der Säugling auf. Die Mutter geht zu dem Kinderbett und redet leise und beruhigend auf das Kind ein. Das Quäken ebbt ab, geht über in leises Brabbeln.
Das Dreijährige kommt aus dem Wohnzimmer und hängt sich an das Kinderbett und schaut durch die Stäbe.
»Hat jemand anderes Ärger gehabt? Eine Ihrer Bekannten oder Freundinnen?«
»Ich wär ja eine gute Freundin, wenn ich Ihnen das auf die Nase binden würde«, antwortet Christa. »Aber Ärger hat es schon gegeben. Es gibt hier ja Familien, wo Sie es wirklich nicht glauben, wie ehrbar und fromm die sind, und doch sind die Mädchen zum Hollerbach gegangen. Aber wenn es wirklich stimmt, dass dieser Kerl alles aufgeschrieben hat, müssten Sie das ja wissen…« Ein misstrauischer Blick streift Tamar. »Einmal, in der Realschule in Wintersingen, hat es einen richtigen kleinen Skandal gegeben, Sie werden es nicht glauben, da hat die Klassenlehrerin bei der einen im Vokabelheft Fotos von einer anderen gefunden, die beiden waren noch keine 16, können Sie sich das vorstellen? Die andre, also die, von der die Fotos waren, kam auch aus Lauternbürg.«
Das Dreijährige steckt seinen Arm durch das Gitter und schlägt nach dem Baby. Nach einer Schrecksekunde verzieht sich das Gesicht des Säuglings, und er beginnt gnadenlos zu brüllen.
Rasch verabschiedet sich Tamar und verlässt die Wohnküche. Das ist nun schon die fünfte Frau, der sie eine dieser albernen Vergrößerungen hat vorlegen müssen. Nicht, dass die Frauen in Panik ausgebrochen wären oder in hysterisches Flehen, was hatte sie sich da nur eingebildet. Drei waren inzwischen Hausfrauen und Mütter, bis auf die unglückliche Christa schon ziemlich breit um die Hüften, beim Anblick der Fotos kaum merklich errötend. Eine hatte zu kichern begonnen und hörte nicht mehr damit auf, obwohl sie eigentlich damit beschäftigt war, Krautwickel zu machen. Eine Frisöse konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wem alles sie einen Abzug gegeben hatte, aber sie wusste, dass Hollerbach nicht knickerig gewesen war und sich von manchen Mädchen auch bargeldlos hatte honorieren lassen – »ein bisschen Tatschen, und schon war er zufrieden.« Die Vierte, eine Bankangestellte, hatte die Abzüge für Anzeigen gebraucht… Für Anzeigen?
»Ach, Sie wissen doch, wenn es heißt: Aussagekräftige Bildzuschriften erbeten unter Chiffre…«
Durch eine enge Dorfgasse kommt sie zur Schmiech, einem unruhig strömenden Bach, und fährt weiter auf die Bundesstraße. Es ist ein klarer Spätherbstnachmittag, einzelne weiße Wolkengespinste überziehen das verblasste Blau des Himmels. Im Süden weitet sich das Tal zur Moorlandschaft des Schmiechener Sees, einem Naturschutzgebiet. Tamar überlegt, wie es wäre, wenn sie den Wagen einfach stehen lassen und den See entlangwandern würde, vielleicht würde sie einen Milan sehen oder Singschwäne auf dem Vogelzug…
Doch da ist sie schon nach links abgebogen. Die Bundesstraße führt durch ein breites Tal, nach wenigen hundert Metern erinnert nichts mehr an Milane und Singschwäne. Das Tal wird von den Silos und Förderbändern der Zementwerke gesäumt, die hier den Jura-Kalk abbauen. Die Dörfer auf der anderen Straßenseite sehen grau aus, mit kleinen Häusern, die sich in ihren Eternit-Verkleidungen unter der Abluft der Zementwerke ducken.
Hannah ist in einem dieser Häuser aufgewachsen, bei einer dicken, frommen, gutmütigen Pflegemutter, Tamar hat einmal mit ihr gesprochen, kurz bevor sie Hannah kennen lernte, warum macht ihr diese Erinnerung ein so blödes Gefühl im Bauch? Hannah wohnt nicht mehr hier…
Noch ein staubgraues Dorf, dann ist sie in Blaubeuren und fährt durch eine Hauptstraße mit Häusern, die ihr noch nie so unansehnlich erschienen sind wie heute, zu den Parkplätzen am Klosterhof. Sie stellt den Wagen ab und geht durch die Anlagen des Klosters, das seit der Reformation ein evangelisches Internat
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