Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Vogelbeeren rot durch fast schon blattleeres Gesträuch leuchten.
Berndorf und Felix steigen aus, Berndorf klingelt bei Walz, ein nach vorn gebeugter, grauhaariger, magerer Mann in einer grauen ausgebeulten Wolljacke öffnet.
»Menschenskind Berndorf, wie kann man nur so auf den Hund kommen!« Er hält Felix eine Altmännerhand hin, die kurz beschnuffelt wird, und lässt die Besucher eintreten. Der winzige Flur ist zusätzlich verengt durch ein bis oben hin voll gestelltes Bücherregal. Vom Flur geht es in ein kaum größeres Wohnzimmer mit einer durchgesessenen Polstergarnitur, es riecht nach Kaffee und ungelüfteten Kleidern. An der einzigen Wand, an der sich keine Bücherregale hochziehen, hängt ein großes gerahmtes Schwarzweißfoto, zwei Männer auf einem Podium in einem dunklen rauchgeschwängerten Saal, der eine am Mikrofon ist straff, durchaus nicht mager, mit vollem schwarzen Haar, seine Hand zeigt auf den zweiten Mann, der – den Kopf mit dem hohen Haaransatz leicht geneigt, die Augenbrauen hochgezogen – freundlich und doch wie aus großer Distanz zur Kamera blickt…
Bis in die 70er-Jahre war Heiner Walz Mitglied des badenwürttembergischen Landtags und sicherheitspolitischer Sprecher seiner Partei, was nichts weiter zu bedeuten hatte, denn als einzigem gelernten Kriminalbeamten in einer sonst hauptsächlich aus Lehrern zusammengesetzten Fraktion war ihm gar nichts anderes übrig geblieben. Berndorf hatte ihn auf einem Seminar kennen gelernt, das Walz zusammen mit der Carlo-Mierendorff-Stiftung veranstaltet hatte. Seither waren sie in losem Kontakt geblieben. Als Berndorf am Morgen angerufen hatte, bestand Walz auf einem Besuch, so am Telefon mag er nicht mehr reden, außerdem ist ihm Berndorf ohnehin noch einen Bericht über die Geschichte im Elsass schuldig, gerade ihm ist Berndorf das schuldig!
Sie setzen sich, es gibt Kaffee – überraschend stark – und Kekse aus dem Supermarkt, so ein spät zum Witwer gewordener alter Knacker wird nicht noch das Backen anfangen. Über Politik mag Walz nicht reden, es gibt Leute, da muss er neuerdings den Kanal wechseln, wenn er sie im Fernsehen sieht! Lieber redet er über Hunde, seinen Spaniel hat er vor zwei Jahren einschläfern lassen müssen, leider kann er sich keinen neuen Hund mehr zulegen, »die Arthrose!«
Irgendwann, nach der dritten Tasse, kann Berndorf von Jonas Seiffert erzählen und von der Beerdigung und dass ihn der Hund darauf gebracht hat, noch einmal nachzufragen, wie das damals war … Wer soll das auch glauben?, denkt er. Aber die Geschichte mit Hollerbach ist doch ein wenig umständlich, außerdem geht sie uns Rentner nichts an.
»So«, sagt Walz gedehnt, »dann ist das also des Propheten Hund … Ich habe Seiffert gekannt, und ich kenne auch seine Geschichte, trotzdem ist mir dein sozusagen rein historisches Interesse daran nicht so ganz klar, aber ich verstehe das, du musst selbst wissen, was du mir erzählst.«
Berndorf hebt beide Hände. »Du hast Recht, da war noch was.« Und er erzählt nun doch, wie der Zeitungsmensch Hollerbach ihn angesprochen hat, und erzählt auch von dem Handkantenschlag, der vorerst alles Weitere beendet hat.
»Schau, schau«, sagt Walz, »ein Handkantenschlag, das gibt der Sache ja nun doch etwas mehr Biss… Allerdings ist das, was ich dir erzählen kann, eher lächerlich. Wir haben uns damals in der Sache Lauternbürg zurückgehalten, die Staatspartei solle ruhig selber sehen, wie sie den Schutt wegräumt, den ihr die eigenen Leute vor die Tür gekippt hätten. Schließlich war es ein Streit zwischen zwei Dörfern und zwei Landkreisen, alle tiefschwarze Staatspartei, wir bräuchten uns da nicht einzumischen, hieß es. Natürlich eine faule Ausrede, wir haben hier im Land schon immer so besonders begnadete Taktiker in der Partei gehabt, leider …«
Die hatten Angst, denkt Berndorf.
»Schau nicht so«, sagt Walz. »Natürlich hatten wir Schiss. Die anderen haben ja nur darauf gewartet, dass wir ihnen den Gefallen tun und sie uns als die Partei der Landfahrer ausschellen können. Da sieht man es wieder: vaterlandslose Gesellen, hätte es geheißen … Der Landtag war damals schon umgezogen, von der Heusteigstraße in diesen braunen Glaskasten, kurz vor der Aktuellen Stunde tagt noch die Staatspartei, ich bin etwas zu früh im fast leeren Plenarsaal und komme am Tisch von Silvester Schafkreutz vorbei, beide saßen wir ja nicht gerade vorne. Und wie ich da stehe, sehe ich ein
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