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Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Titel: Der Hund des Propheten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sagt Edith Autenrieth und tippt ganz leicht, wie tadelnd, mit den Fingerspitzen auf seinen Arm.
    Ein junger Mann. Blond. Die Nase etwas schief ins Gesicht gesetzt, der Anflug eines Lächelns um den Mund, auch das Lächeln ist ein wenig schief, Haare kurz geschnitten, Anzug und Krawatte. Der gleiche junge Mann im Fußballdress, dann wieder im Anzug, schließlich mit Mütze und Couleurband. »Suevo-Danubia. Eine schlagende Verbindung.« Ein weiteres Bild zeigt den jungen Mann im Paukwichs, und es wird ihm gerade eine Wunde an der Stirn genäht. »Die Narbe sieht man heute noch«, sagt Edith Autenrieth und schlägt sich vor den Mund. »Was rede ich nur! Seit zehn Jahren…«
    Erstmals sind Edith und Constantin gemeinsam zu sehen, sie: betont kühl, er: fragend, gestikulierend. Inzwischen trägt der junge Mann die Haare bis zum Kragen, zu sehen ist auch, dass er kaum größer ist als sie … Dann sind Edith und Constantin in einer Jagd- oder Berghütte mit anderen jungen Leuten zu sehen, Edith posiert mit einem Jagdgewehr, den Gewehrkolben stolz auf Constantin gestemmt, der zu ihren Füßen liegt, es folgen Hochzeitsfotos mit einer Braut ganz in Weiß.
    »Die Trauung war in der Stuttgarter Stiftskirche, im Juli 1972…«
    Ein korpulenter, glatzköpfiger Mann in ausgebeultem Nadelstreifenanzug mit unmöglich breitem Revers hat seinen Arm um die Braut gelegt, es sieht fast so aus, als wollte die ungeschlachte Männerhand dorthin greifen, wohin es sich nun wirklich nicht gehört, schon gar nicht bei einer Braut.
    »Sieht ein wenig komisch aus«, kommentiert Edith Autenrieth, »aber das war überhaupt nicht komisch. Der Mann da war nämlich einer der Trauzeugen, ein Landtagsabgeordneter, Silvester Schafkreutz hieß er, und man musste höllisch aufpassen, wenn er in der Nähe war, weil er einem sonst sonstwohin tatschte. Manchmal half nur, dass man ihm eins auf die Finger gab.«
    Hochzeitsreise nach Griechenland, Sonnenuntergang am Kap Sounion, die zwei Säulen des Apollo-Tempelchens von Delphi, dann die junge Frau ganz blass und mit einem schwarzbeschopften Säugling auf dem Arm…
    »Das ist Cosima«, sagt eine gerührte und weiche Stimme.
    Inzwischen laufen die Farben nicht mehr aus, die Haare werden wieder kürzer, Mann trägt jetzt gerne die Helmut-Schmidt-Gedächtnislocke, Cosima hat die Nase vom Vater, doch die Haare bleiben dunkel, Kindergeburtstage auf weiter Rasenfläche, Ausflüge mit Autos, die das eckige Blech der Siebzigerjahre abgelegt haben und irgendwie runder und massiger geworden sind, in der Wohnungseinrichtung verklingt die Erinnerung an Raufasertapete und Papierlampen, italienisches Design wird komplettiert mit Empire und schließlich ganz davon abgelöst. Es folgen Gartenpartys mit Männern, die weltläufig aussehen und zugleich nach Jogging im Kottenforst, mit Männern, deren Körpersprache, ja selbst deren Lachen die Zugehörigkeit zu einer nicht näher definierten und doch klar abgegrenzten Klasse signalisieren.
    Der Garten selbst ist keine kahle Rasenfläche mehr, Bäume werden gepflanzt, Gebüsch grenzt zu den Nachbarn ab, schwarzhaarig und spitznasig steht ein knochiges Mädchen vor einem Bäumchen, es folgen Urlaubsfotos, das schwarzhaarige Mädchen erscheint in seinem Bikini plötzlich nicht mehr ganz so knochig. Auf dem nächsten Bild trägt es Kniebundhosen und steht in einem Steinbruch, mit eher gleichgültigem Gesichtsausdruck hält es in der Hand, was ein versteinerter Ammonit sein könnte. Es folgt das verwitterte Steinbild einer nackten Frauengestalt, daneben zieht das Mädchen – noch immer in Wanderkluft – eine Grimasse, als sei es der Bundesfinanzminister und hätte soeben die neuesten Steuerausfälle bekannt zu geben. Unter Bäumen schimmert im Hintergrund eine runde, von ansteigenden Hängen eingefasste tiefblaue Wasserfläche…
    »Grauenvoll«, sagt Edith Autenrieth, »manchmal hatte sie solche albernen Zustände, aber es war Constantin gewesen, der diese Wanderung mit ihr gemacht hatte, und er wollte unbedingt, dass dieses Foto ins Album kommt…«
    Die nächsten Bilder zeigen wieder Haus und Garten. Vor einem Weihnachtsbaum in skandinavisch schlichtem Design sitzt ein weißhaariger Herr, die wässerigen Augen vom Blitzlicht gerötet.
    Dann trägt das Mädchen einen schwarzen Hosenanzug und blickt kühl und unbewegt in die Kamera.
    »Cosimas Konfirmation«, erklärt die Mutter.
    An der sommerlichen Kaffeetafel ist ein Gesicht zu sehen, das irgendwie nicht ganz die nach

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