Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Unsinn. Es ist ein Geheimauftrag. Sie wollen es mir nur nicht sagen.«
»Wer sind diese ›sie‹, die es Ihnen nicht sagen wollen?«
Edith Autenrieth schüttelt den Kopf. Dann legt sie einen Finger mit karmesinrot lackiertem Nagel an ihre Lippen. »Geheim.«
»Ich verstehe«, sagt Berndorf. »Nein, ich verstehe natürlich nichts … Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe treten sollte – aber was ist mit seinem Gehalt?«
»Sie treten mir nicht zu nahe«, antwortet Edith und setzt ein schnelles Lächeln auf und gleich wieder ab. »Mein Mann ist nicht unvermögend, auch wenn er aus einer Beamtenfamilie kommt. Sein Vater hatte einige recht erfolgreiche Grundstücksgeschäfte tätigen können, er war Landrat, als ich in die Familie kam. Und so hat mein Mann einige Vermögenswerte zurückgelassen… Aber von einem Gehalt bekomme ich nichts mehr zu sehen, wenn er denn eines bezieht.«
Berndorf nickt. Wenn er denn eines bezieht. »Das sieht doch sehr danach aus, dass Ihr Mann die Kontakte zu Deutschland abgebrochen hat«, sagt er schließlich. »Schade. Ich hätte natürlich sehr gerne mit ihm gesprochen, insbesondere über seinen Herrn Vater und die Zeit früher im Lautertal und auf der Alb… Sie verfügen nicht zufälligerweise noch über Publikationen, die sich mit Ihrem verstorbenen Herrn Schwiegervater beschäftigen? Oder über Aufzeichnungen, jemand in seiner Position hätte ja durchaus Grund gehabt, seine Erinnerungen festzuhalten… Vielleicht gibt es auch noch Fotoalben aus den Fünfzigerjahren oder später…«
»Unsinn.« Strafender Blick aus Augen, preußischblau. »Mein Schwiegervater war ein Mensch ohne einen Funken Phantasie. Völlig unfähig, seine Parteibrille abzunehmen. Es wäre absolut grauenvoll geworden, wenn so jemand seine Erinnerungen hätte aufschreiben wollen.« Sie steht auf. »Aber Fotoalben sind da. Warum soll ich sie Ihnen nicht zeigen? Es hat sie schon lange niemand mehr sehen wollen.«
Sie geht über den schweren goldfarbenen Teppich zu einem Empire-Sekretär mit ziselierten Beschlägen. Über dem Sekretär hängt eine gerahmte Bleistiftzeichnung, das junge, etwas trotzige Gesicht eines weiblichen Harlekins.
»Das ist Cosima. Unsere Tochter«, erklärt Edith Autenrieth. »Mein Mann hat das gezeichnet. Er hat ein Talent für so etwas. Bei Konferenzen hat er manchmal die Minister konterfeit, das waren dann richtige Karikaturen und die sind ihm aus den Händen gerissen worden.« Eine Schublade klemmt. »Helfen Sie doch einmal!«
Berndorf tritt hinzu, drückt die Schublade zurück und kann sie dann vorsichtig aufziehen. Lavendelgeruch steigt hoch, neben Bündeln von Ansichtspostkarten und einem Strauß Trockenblumen sind Alben gestapelt. Edith Autenrieth holt eins nach dem anderen heraus und reicht sie Berndorf, wie versehentlich streift ihn einmal ihr Arm, der sich unter der Rüschenbluse mager und zerbrechlich anfühlt.
Sie kehren zum Tischchen zurück, Berndorf muss die Alben halten, bis das Teeservice abgeräumt ist.
Das erste Album, schweinsledern, mit eingeprägtem Wappen, ist offenbar ein Abschiedsgeschenk für den scheidenden Landrat gewesen. Edith Autenrieth blättert es auf, Schwarzweißfotos aus den Fünfzigerjahren zeigen einen Herrn in dunklem Anzug, die Haare ordentlich geschnitten und gescheitelt, der Herr steht an einem Rednerpult, schüttelt Hände, wird vereidigt, steht wieder an einem Rednerpult, schneidet ein Absperrungsband durch, während im Hintergrund eine Blaskapelle spielt, begrüßt – selbst nur knapp mittelgroß – einen hoch gewachsenen silberlockigen Besucher, lächelnd, erkennbar launige Worte auf den Lippen…
»Müssen wir uns das wirklich antun?«, fragt Edith Autenrieth an seiner Seite und klappt entschlossen das schweinslederne Erinnerungsstück zu und schlägt das nächste Album auf. »Ach! Sehen Sie nur, das sind Constantin und ich…«
Im Schein der Stehlampe – bronzener Sockel, Lampenschirm in zartgelber Seide – springen Berndorf Bilder aus den frühen Sechzigerjahren entgegen, bereits nicht mehr schwarzweiß, wenngleich die roten und blauen und gelben Farbtöne aussehen, als seien sie von den Jahren ausgelaugt worden oder hätten einen Stich bekommen. Ein junges Mädchen, zuerst im weit schwingenden Kleid, dann plötzlich im Mini…
»So schauen Sie nur«, ruft Edith Autenrieth entzückt, »das war doch verboten kurz …«
»Sie konnten es tragen«, sagt Berndorf höflich und erlaubt sich weiterzublättern.
»Ach Sie!«,
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