Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
außen gewendete Selbstsicherheit der sonstigen Gäste teilt. Edith Autenrieth will weiterblättern.
»Darf ich das noch einmal sehen?«
Berndorf kennt das Gesicht. Auf dem Foto sind die Geheimratsecken nicht ganz so ausgeprägt. Aber das Breitflächige, das Langsam-Bedächtige ist bereits da.
»Das ist Guntram«, erklärt Edith Autenrieth. »Guntram Hartlaub, ein Theologe. Constantin kannte ihn aus Lauternbürg.«
»Er war Pfarrer hier?«
»Nein, er war ja aus Württemberg. Guntram war als Referent dem evangelischen Militärbischof zugeteilt, ich glaube, Constantin hat ihm das vermittelt … Die Hartlaubs wohnten hier in Röttgen, Guntram sprang auch manchmal für unseren Pfarrer ein und hielt den Gottesdienst, wenn der krank war, wir mochten das sehr, wenn er das tat.« Nun blättert sie weiter. »Wissen Sie – unser Pfarrer hatte so etwas Rechthaberisches an sich, er wollte, dass wir alle gegen diese amerikanischen Raketen demonstrieren, und zu Ostern sollten wir Friedenstauben backen, dabei haben wir viele Familien in der Gemeinde, deren Männer im Verteidigungsministerium arbeiten, die Hardthöhe ist ja nur einen Katzensprung entfernt… Guntram war viel nachdenklicher und nicht so von sich überzeugt. Und vor allem war er jemand, der zuhören konnte… Das da ist übrigens seine Frau, die kam aus Ostdeutschland, sie war dort in Haft gewesen, mein Mann hat gerne mit ihr diskutiert, sie war immer sehr ernsthaft, das hat ihn gereizt, und dann hat er vor ihr gerne ein wenig den Machiavelli gespielt.«
Die Fotografie zeigt Marielouise Hartlaub am gedeckten Tisch draußen im Garten, das blonde Haar schon damals straff nach hinten gekämmt, die Augen grau, fast abweisend, neben ihr sitzt Constantin Autenrieth, der ihr aus einer Kanne einschenken will und Marielouise mit einem Lächeln anschaut, das – nun ja, es kommt Berndorf anders vor als das Lächeln auf den anderen Fotos. Auch seine Gastgeberin hält einen Augenblick inne und betrachtet das Foto.
Von draußen hört man das Geräusch eines Wagens, der vorfährt und hält.
»Das wird Cosima sein«, sagt Edith Autenrieth. »Ich habe ihr von Ihrem Anruf erzählt. Ich glaube, sie will Sie kennen lernen.«
Kaum, denkt Berndorf. Misstrauen keimt in der kleinsten Puppenstube.
Die Haustür öffnet sich und wird energisch zugeworfen. »Man kann Cosima nie überhören«, sagt ihre Mutter. Dann herrscht für die Länge eines Lippenstift-Nachziehens Ruhe. Noch einmal betrachtet Berndorf die sommerliche Gartenszene, Constantin Autenrieth trägt ein blauweiß gestreiftes Hemd mit weißem Kragen, die Linien in seinem Gesicht scheinen schärfer geworden, tiefer eingezeichnet, wann zum Henker trug man gestreifte Hemden mit weißen Kragen?
Die Tür geht auf, eine zierliche junge Frau betritt die Szene: dunkles Nadelstreifenkostüm, das blasse ungeschminkte Gesicht mit der schiefen Autenrieth’schen Nase von einer Kappe lackschwarzer Haare eingerahmt, eine mephistophelische Spitze in die Stirn gekämmt. Es ist das Gesicht des Harlekins auf der Bleistiftzeichnung. Aber der Harlekin spielt nicht mehr.
Berndorf erhebt sich und wird vorgestellt, er schätzt Cosima Autenrieth auf höchstens 30, dass sie auf den ersten Blick um ein Unwesentliches größer erscheint als ihre Mutter, liegt an ihren hohen Pumps.
Cosima Autenrieth ist Rechtsanwältin, wie ihre Mutter sagt. »Fachanwältin für Internationales Handelsrecht…«
»Das tut jetzt nichts zur Sache«, schneidet ihr Cosima das Wort ab und bedeutet Berndorf mit einer kurzen Handbewegung, er solle wieder Platz nehmen. Sie selbst zieht sich das dritte Sesselchen heran und setzt sich ihm gegenüber.
»Sie wollen einen Artikel über meinen Großvater schreiben?« , fragt sie. »Jedenfalls habe ich meine Mutter so verstanden. Sind Sie Journalist?«
Berndorf schüttelt den Kopf. »Ich bin pensionierter Beamter und arbeite an einer Monographie über das Lautertal. Ihr Herr Großvater war dort Landrat…«
»Sie waren Beamter? Beim Finanzamt, wie?«
Berndorf sagt, dass er Kriminalbeamter war.
»Ach nein«, sagt Cosima Autenrieth. Für den Bruchteil eines Augenblicks liegt auf ihrem Gesicht ein Widerschein des schief angesetzten Lächelns, das Berndorf schon auf den Fotos ihres Vaters gesehen hat.
»Finden Sie nicht, dass es eine Grenze für den Unsinn gibt, den man den Leuten erzählen darf? In den staatlichen Archiven ist mehr heimatgeschichtliches Material gelagert, als Sie jemals auswerten können, und zwar über
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