Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Aufsatz zu nennen?, fragt sich Rübsam.
»Besonders gefallen hat mir Ihre Bemerkung über den Blick, den wir auf die künftigen Aufgaben richten sollten«, fährt Wildenrath fort, »ein Glück, dass hier niemand silberne Löffel gestohlen hat, meines Wissens jedenfalls nicht, man könnte es sonst falsch verstehen…«
»Nein«, sagt Rübsam und fasst den Prälaten ins Auge, »es hat hier niemand silberne Löffel gestohlen, und es gibt auch nichts falsch zu verstehen. Vielleicht aber könnten wir jetzt in die Tagesordnung eintreten?« Sein Blick richtet sich auf den Sparkassen-Weglein, der so heißt, weil er pensionierter Bankdirektor ist. Außerdem ist er der Vorsitzende der Bezirkssynode und stets bemüht, wie der Prälat einmal bemerkte, jedem Nadelöhr aus dem Weg zu gehen.
Weglein fährt erschrocken hoch und räuspert sich.
»Aber gewiss doch«, sagt Wildenrath, »die Tagesordnung, ei freilich! Sie haben ja zu wählen. Dass Ihnen diesmal nur keine Knochen dazwischenkommen, oder was sich sonst in der Vergangenheit so finden lässt…«
Er lächelt Rübsam an, freundlich und scheinbar ohne Arg.
Woran zündelst du jetzt schon wieder?, überlegt Rübsam, doch dann zuckt er zusammen, denn glasharfenzart dringt an sein Ohr die Stimme der Synodalen Christa Fricke. Sie findet, dass Pfarrerin Schaich-Selblein da eine sehr bewegende Andacht gehalten hat, und es gehe auch wirklich nicht darum, was in der Vergangenheit gewesen sei, aber man dürfe seine Augen auch nicht davor verschließen, welche Kränkungen gläubige Kirchenglieder in jüngster Zeit hätten erleiden müssen, »auch von einer Seite, von der sie es nicht hätten erwarten dürfen.«
Also doch, denkt Rübsam. Die Fromme Gemeinde will ihre Rache. »Ich nehme an«, sagt er und hält den zusammengefalteten Zeitungsausschnitt hoch, »Sie beziehen sich auf diesen Zeitungsartikel hier …« Und er beginnt, davon zu reden, dass man immer auch die andere Seite hören müsse, und dass nun wirklich nicht jeder Choral für jede Gelegenheit…
Während er redet, sieht er, wie Wildenrath unmerklich den Kopf schüttelt.
Tamar schlägt den langen braunen Mantel um sich und geht mit entschlossenen Schritten die Platzgasse hinauf. Es ist dunkel geworden, die Gasse öffnet sich auf den Münsterplatz, In dem weiß schimmernden runden Steinbau des Stadthauses leuchten die großen Fenster wie Transparente. Tamar hat kein Auge dafür, und auch nicht für das Münster, dessen Turm sich oben in der Dunkelheit verliert. An diesem Abend ist sie als Schichtführerin für den Bereitschaftsdienst eingeteilt, aus Erfahrung weiß sie, dass es mit dem Aufarbeiten der unerledigten Berichte doch nichts wird, und so hat sie sich einen der Ripley-Romane der Patricia Highsmith eingesteckt…
Auch so wird die Nacht lang genug werden. Sie verscheucht den Gedanken, wie es sein wird, wenn sie nach Hause kommt, ins Bett, zum weichen atmenden Körper der schlaftrunkenen Hannah, der Gedanke will sich nicht verscheuchen lassen, und so bleibt sie zur Ablenkung vor einem Plakat des »Tagblatts« stehen, das zu einer Diskussion mit einem eierköpfigen brillengesichtigen Menschen einlädt, auf dessen Gesichtszügen sich der Ausdruck einer habituellen Besserwisserei eingenistet hat.
Kein Wort würd’ ich dir glauben.
Anderes geht ihr durch den Kopf. Sie will nicht daran denken. Aber die Gedanken sind frei. Sie malen ein Bild, ein Gesicht, schwarz eingerahmt, um den Mund ein Zug von verborgener insgeheimer Aufsässigkeit.
Schnüss.
Berndorf hat einen Hund, der in die Landredaktion zwangsversetzte Gerichtsreporter Frentzel hat es ihr erzählt. Drollig? Eigentlich hätte auch sie zur Beerdigung gehen wollen, wäre da nicht diese Zeugenladung gewesen. Wieso eigentlich? Der Prophet war ein bigotter alter Mann.
Trotzdem.
Sie geht über den kopfsteingepflasterten Innenhof des Neuen Baus und passiert das Portal. Aus der aquariumsgläsernen Wache grüßt der Polizeihauptmeister Leissle, Orrie ist also in der gleichen Schicht, das ist schön, irgendwann wird sie einen Becher Kaffee mit ihm trinken. Besondere Vorkommnisse? »Nöh«, meint Orrie, »im Stadthaus redet ein Politiker, Englin ist drüben und was sonst verfügbar ist, außerdem hat der Mensch seinen eigenen Personenschutz mitgebracht, eigentlich kein schlechter Job, sollt’ ich mich auch mal drum bewerben…«
»Was glaubst du, was deine Frau dir dann erzählt.«
Tamar geht die Treppe hoch, vorbei an den gerahmten
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