Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Schwarzweißfotos alter Ulmer Schutzpolizisten, Tschako auf dem Kopf, scharfgesichtig. Kein Foto zeigt, was alte Ulmer Schutzpolizisten in den Einsatzgruppen gemacht haben, im Baltikum oder sonst im Russlandkrieg.
In ihrem Büro knipst sie als Erstes die Stehlampe auf ihrem Schreibtisch an und löscht die Deckenlampe. Sie hängt ihren Mantel auf, zieht den Schreibtischstuhl hervor, setzt sich und legt die Füße auf den Schreibtisch.
So, haben wir jetzt alle Klischees beisammen über eine Polizistin im Nachtdienst? Nein, denkt sie, etwas fehlt noch, und sie holt das Taschenbuch aus ihrer ausgebeulten Jackentasche und schlägt es auf: »Es gibt keinen perfekten Mord«, sagte Tom abschließend zu Reeves …«
Die Herrentoilette riecht wie der Abtritt in einem alten Schulhaus. »Man legt sich nicht mit den Posaunenbläsern an«, sagt Prälat Wildenrath, der neben Rübsam steht. »Niemand darf das. Niemals. Die Posaunenchöre wird es noch geben, wenn es schon lange keine Volkskirche mehr gibt.«
»Wir wählen hier aber immer noch einen Dekan«, wendet Rübsam ein, »und nicht die Ehefrau. Was hier stattfindet, kommt mir nachgerade vor wie Sippenhaft.«
»Es wäre nicht die erste Wahl, bei der nicht der Mann, sondern die Ehefrau durchfällt«, widerspricht der Prälat. »Jedenfalls ist Hartlaub, wenn Sie so weitermachen, aus dem Spiel und wir kriegen womöglich noch den weinenden Scheuermann. Wollen Sie das verantworten?«
Theodor Scheuermann, ein Stadtpfarrer im Oberschwäbischen, der jederzeit und wie auf Wunsch in Tränen ausbrechen kann, lauert seit Jahren auf ein vakantes Dekanat.
»Ich glaube ja auch, dass es schief geht«, meint Rübsam und knöpft sich den Hosenladen zu. »Aber ich weiß nicht, wie man es noch retten kann.«
»Sie haben vorhin von Sippenhaft gesprochen«, antwortet der Prälat. »Ein großes Wort. Aber warum nicht? Spielen wir doch ein bisschen damit. Sippenhaft mag niemand. Aber wir müssen es über die Bande spielen. Darauf versteht sich die Fricke nicht. Überhaupt können Frauen das nicht. Es hat mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen zu tun.«
»Das alles ist mir ein wenig dunkel«, sagt Rübsam abweisend. Verschwörerisch sieht sich Wildenrath um, ob sie auch allein sind. »Sie sollten«, fährt er dann fort, »nach seinem Vater fragen. Nach dem alten Wilhelm Hartlaub. War Pfarrer hier im Bezirk, und für ein paar Wochen einer meiner Vorgänger, ein Deutscher Christ, wie er im Völkischen Beobachter stand… Sie brauchen bloß danach zu fragen, ganz freundlich, das reicht schon, und der Streit mit den Posaunisten ist vergessen, nicht mehr sie sind es, die in Schutz genommen werden müssen, sondern unser Kandidat, er ist die arme Sau, oder wenigstens sein toter Vater …«
»So etwas mach ich nicht«, erklärt Rübsam entschieden.
Wildenrath zieht mit beiden Händen an der Handtuchrolle, aber es kommt kein frisches Tuch mehr. »Sie Unschuldsengel!« , sagt er und trocknet sich die Hände missmutig am gebrauchten Leinen. »Wir haben hier eine Personalentscheidung, da geht es um Biographien, um Schicksale. Was wissen denn Sie, was da alles ausgegraben werden kann, worüber besser Gras wächst… Warum also nicht selbst ein bisschen Gras abrupfen, damit die Kamele sagen können, mit diesem alten braunen Heu soll man ihnen aber bitte vom Leib bleiben. Wenn Sie aber lieber die Tränen unseres Amtsbruders Scheuermann ertragen wollen…« Er horcht auf. Aus dem Sitzungssaal dringen wütende Proteste.
Rübsam geht zur Eingangstür des Sitzungssaals. Mehrere der Synodalen sind aufgesprungen und starren empört auf einen Mann, der am Kopfende der linken Tischreihe steht. Der Mann trägt Jeans, hat das graue Haar zu einem Zopf geflochten und versucht etwas zu sagen.
»Schweigen Sie«, ruft von der rechten Reihe ein hoch gewachsener Mann mit beschwörender Stimme und richtet einen anklagenden Zeigefinger auf den Mann mit dem Zopf, »schweigen Sie von diesen Dingen! Was wissen wir denn, wer Ihr Vater gewesen ist und was er getan hat in Zeiten, von denen auch Sie nicht wirklich wissen, wie sie gewesen sind …« »Keine Ahnung hat er!«, ruft eine andere Stimme dazwischen. »Jawohl, keine Ahnung!«, echot ein ganzer Chor. Mit einer eckigen Bewegung schüttelt sich der Hochgewachsene die geföhnten weißen Haare zurecht, die ihm in die Stirn gefallen sind, und hebt die Hand, um die Zwischenrufer zum Schweigen zu bringen.
»Niemand«, sagt er dann, »niemand soll unter dieser
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