Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
oben gefunden«, sagt der Mann mit dem unterm Helm rußverschmierten Gesicht. Es ist ein schmales, von einem Bart eingerahmtes Gesicht.
Tamar betrachtet, was von dem Haus übrig ist. Es war eines der Häuser, wie sie sich einstöckig und spitzgieblig in Reih und Glied die Straße hinabziehen, kurz nach dem Krieg gebaut oder in den frühen 50er-Jahren. Wie eine dunkle Wand erhebt sich dahinter der Wald. Sie zwingt sich, wieder auf das hinabzusehen, was schwärzlich und irgendwie aufgeplatzt vor ihr auf einer Trage liegt, außerhalb des Lichtkegels der Scheinwerfer. Das Feuer hat die Gesichtshaut zusammenschnurren lassen, so dass das Gebiss freigelegt ist und zum Nachthimmel bleckt.
»Die Nachbarn hatten uns gesagt, dass er noch im Haus sein muss«, fährt der Mann fort. »Da haben wir ihn dann auf der Treppe gefunden.« Der Mann ist der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Lauternbürg. Neuböckh, Landmaschinentechniker, hat Tamar notiert.
»Er hat hier gewohnt?«
Neuböckh schaltet seine Taschenlampe ein. Ein Lichtstrahl wandert über angekohltes Fleisch, verharrt auf dem Gesicht mit dem bleckenden Gebiss.
»Ich denk schon.« Er löscht das Licht.
»Allein?«
»Seit seine Mutter vor ein paar Jahren gestorben ist.«
»Und was hat er gemacht?«
»Er hat für die Zeitung geschrieben«. Neuböckh schiebt mit dem Fuß ein angekohltes Stück Papier weg. »Fürs ›Tagblatt‹. Darüber, was hier in den Dörfern so passiert. Und in den Vereinen. Gelernt hat er als Schriftsetzer, beim Übelhack in Ehingen. Aber dann ist er arbeitslos geworden.«
Ein Zeitungsschreiber. Jetzt weiß Tamar auch, woher sie den Namen kennt: Hollerbach, Eugen. Ihre Erinnerung kramt ein Gesicht hervor, Mundgeruch, aufdringliche Fragen, flinke hurtige Augen.
Sie bückt sich und nimmt das angekohlte Stück Papier mit zwei Fingern auf, so dass sie es am Rand halten kann. Es ist der Überrest eines Fotoabzugs, schwarzweiß, als Tamar ihre eigene Taschenlampe einschaltet, sieht sie, dass es eine Aktaufnahme ist, ein etwas zu fülliger weißer Körper, die Schamhaare zu einem schmalen Streifen rasiert, Kopf abgewandt, die Brüste der Kamera entgegengereckt, noch zu erkennen sind die Druckstellen des Büstenhalters.
»Fotografiert hat er auch«, sagt Neuböckh.
Vorsichtig schiebt Tamar das Foto in einen Umschlag.
»Wollen Sie noch das Haus näher ansehen?«, fragt der Kommandant. »Wir haben oben einen von diesen alten Elektroöfen gefunden, ziemlich verschmort. Ich will mich ja nicht aufdrängen, aber wenn Sie mich fragen…«
»Die Nachbarn wussten, dass er zu Hause war«, sagt Tamar. »Hat jemand gesagt, seit wann?«
»Abends ist er in den Wirtschaften gehockt«, antwortet Neuböckh. »Hier im ›Adler‹ und anderswo. Meistens jedenfalls. Bis sie dort die Stühle auf den Tisch stellen.«
Mittwoch, 7. November 2001
Auf dem Münsterplatz ist Wochenmarkt, es riecht nach Kräutern und erdigen Kartoffeln und Kisten voll Obst, Tamar schiebt sich an Einkaufstaschen und Körben und Netzen vorbei und strebt zur Platzgasse, denn es ist später Vormittag und sie braucht einen Kaffee und ein Sandwich. Sie fühlt sich nicht beschwingt, aber doch merkwürdig leicht, als ob die Dinge und die Welt um sie herum kein Gewicht hätten, das kommt, weil ihr von den sieben Stunden Schlaf, die sie haben sollte, ziemlich genau sechs fehlen.
Über Mittag will sie nicht nach Hause fahren. Denn wenn sie sich hinlegt, kommt sie so schnell nicht mehr hoch. Außerdem ist Hannah in München, bei dieser Galeristin, die eine Ausstellung mit ihr vorbereitet.
Hannah fährt in letzter Zeit oft nach München.
In dem engen Schlauch von Tonios Café drängt sich die Kundschaft vor dem Tresen. Aber ein Tischchen ist noch frei. Nebenan sitzt der Zweirad-Schnäutz mit seinem Rauhhaardackel und lauert darauf, wem er ein Gespräch aufhängen kann.
Nicht mir.
Tamar sitzt kaum, als auch schon Maria vor ihr steht. Sie lächelt höflich und wohlerzogen und ganz und gar nicht aufsässig und nimmt die Bestellung entgegen. Bis der Kaffee und das Salami-Sandwich kommen, greift sich Tamar das »Tagblatt«. Von der Titelseite des Lokalen reckt sich ihr der Staatssekretär von gestern Abend entgegen…
»Wir wissen doch alle, dass die weltwirtschaftliche Stabilität und Sicherheit von dieser Region sehr stark beeinflusst werden kann, in der 70 Prozent der Erdölreserven des Globus und 40 Prozent der Erdgasreserven liegen…«
Tamar blättert weiter, die SilvAqua meldet
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