Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
die ihr langes braunes Haar hoch gesteckt hat. Sie trägt Jeans und ein ausgebeultes graues Jackett in Fischgrätmuster. Grüßend nickt sie zu den beiden Männern und lehnt sich an den Tresen.
»Die Mordkommission«, sagt Frentzel. »Meine Verehrung! Sie haben nicht zufälligerweise eine Kleinigkeit übrig für einen ewig dankbaren Lokalredakteur? Eine unbedeutende Leiche vielleicht, oder ein wenig Brandstiftung?«
»Wenn Sie Ihrer Arbeit nachgehen würden«, antwortet die Besucherin, »hätten Sie jetzt durchaus etwas zu schreiben. Beispielsweise darüber, wie überarbeitete Polizisten mit sinnlosen, absurden und wichtigtuerischen Zeugenvorladungen zum Zweck der Prozessverschleppung behelligt werden.« Sie bestellt sich eine Latte Macchiato.
Frentzel sieht ihr zu, wie sie der neuen Bedienung zusieht und dem Hantieren der langen und zartgliedrigen Finger.
Dann nickt er betrübt. »Sie sehen mich als einen Verbannten. Als ein Opfer der Stiefelknechte.« Er wartet, aber dass das »Tagblatt« sich den Kaputtsanierer einer Schuhfabrik als Prokuristen ins Haus geholt hat, ist den Stammgästen schon etwas zu oft vorgetragen worden. »Ich betreue neuerdings die Seite ›Christ und Hund‹, um die Wahrheit zu sagen, ist das nicht schrecklich?«
Rübsam betrachtet ihn, dann holt er einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt aus seiner Brieftasche. »Ist das da auch Ihrem neuen Ressort entsprungen?«
Frentzel setzt seine Halbbrille auf und nimmt den Ausschnitt. »Ach das! Schöne Geschichte. Musik, weil mit Geräusch verbunden… Stuttgarter Theologin beschwert sich über Posaunenchor von der Alb, da ist doch alles drin. Zugereiste, aber fest besoldete Kirchenbeamtin vermiest ehrenamtlichen einheimischen Posaunenbläsern das Lob Gottes. Da wissen die Leute doch gleich wieder, warum sie aus der Kirche ausgetreten sind. Hat Ihnen der Beitrag nicht gefallen?«
Rübsam sagt nichts, sondern winkt Maria zu sich her und bezahlt einen doppelten Espresso. Dann entschuldigt er sich, er müsse zu einer Sitzung.
»Eine Sitzung, nett«, sagt Frentzel. »Versuchen Sie wieder einmal, einen neuen Dekan zu wählen? Den letzten Kandidaten hatten Sie doch abgeschmettert. Hatte der nicht behauptet, die Erde sei eine Hohlkugel?«
»Nein, hat er nicht«, antwortet Rübsam missvergnügt.
»Gibt es denn diesmal weißen Rauch? Und könnten Sie mich das dann vielleicht gleich wissen lassen?«
»Sie werden lachen«, antwortet Rübsam. »Durch den Aufsatz über die Posaunenbläser sind verschiedene Dinge nicht unbedingt einfacher geworden. Aber ich will sehen, was ich für Sie tun kann.« Er verabschiedet sich und geht.
Weiter hinten bezahlt auch der Mensch, der zu dem Lodenmantel gehört, die Kommissarin Tamar Wegenast bekommt ihre Latte Macchiato, und als sie sie bekommt, schaut Frentzel noch einmal genau hin, aber es fällt ihm nichts daran auf, wie die Kommissarin die Maria ansieht. Wie soll sie sie schon anschauen, denkt er dann. Wie einen netten Menschen halt.
Wie es in der Bezirkssynode Brauch ist, beginnt auch die Sitzung des Wahlausschusses mit einer Andacht, die an diesem Abend Pfarrerin Schaich-Selblein hält. Sie spricht über das, was die Menschen seit dem Flugzeug-Anschlag von New York bewegt, über die Angst, dass diese Welt aus den Fugen geraten könnte, dass aber Frieden nicht mit Waffen, sondern nur durch das Gespräch geschaffen werde …
Vor seinen Augen hat Johannes Rübsam zum einen die gelblichen, vom Fliegendreck schwarz punktierten Kugellampen im Großen Saal des Evangelischen Gemeindehauses, ferner das leicht gerötete und entfernt an einen nicht mehr sehr jungen Cherub erinnernde Gesicht des Prälaten Wildenrath und schließlich die nächste Tischreihe, wo sich die Ausschussmitglieder der Frommen Gemeinde irgendwie von selbst um die Synodale Christa Fricke herum eingefunden haben.
Rübsams Gedanken schweifen und kreisen und machen unversehens fest an dem Busen der Pfarrerin Kollegin Schaich-Selblein sowie an ihren sehr langen, vorstehenden Zähnen, und so stellt er sich vor, die Kollegin sei in einem gottesfürchtigen Pietisten-Haushalt aufgewachsen und die vorstehenden Zähne dort als ein wertvolles Geschenk Gottes betrachtet worden, das die junge Tochter vor den Anfechtungen geschlechtlicher Gelüste bewahren werde.
Pfarrerin Schaich-Selblein hat indessen von Afghanistan übergeleitet zu den bisherigen Zusammenkünften des Ausschusses. Schon bisher habe man es sich nicht leicht gemacht, manch hartes
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