Der Hund des Todes
Dinge hatten sich bis zu einem Punkt entwickelt, an dem irgendetwas geschehen musste. Soweit ich die Angelegenheit übersah, gab es nur einen einzigen Menschen, der den Schlüssel zu allem in der Hand hielt. Ich hatte den Verdacht, dass Lady Carmichael mehr wusste, als sie sagen wollte.
Sie war totenblass, als sie am nächsten Morgen herunterkam, und stocherte lustlos auf ihrem Teller herum. Ich war überzeugt, dass nur eiserne Entschlossenheit sie vor einem Zusammenbruch bewahrte. Nach dem Frühstück bat ich sie um eine kurze Unterredung. Ich kam sofort zum Thema.
»Lady Carmichael«, sagte ich, »ich habe allen Grund zur Annahme, dass Sie sich in einer sehr ernsten Gefahr befinden.«
»Wirklich?« Herausfordernd und wunderbar unbeteiligt stellte sie diese Frage.
»In diesem Haus«, fuhr ich fort, »befindet sich irgendetwas – ist irgendetwas vorhanden –, das Ihnen sichtlich feindlich gesinnt ist.«
»So ein Unsinn«, murmelte sie erbost. »Als glaubte ich an derartiges Zeug!«
»Der Sessel vor Ihrer Tür«, bemerkte ich trocken, »wurde in der letzten Nacht zerfetzt.«
»Wirklich?« Mit hochgezogenen Augenbrauen spielte sie die Überraschte, aber ich sah, dass das, was ich erzählt hatte, ihr nicht neu war. »Wahrscheinlich irgendein dummer Spaß.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte ich voller Mitgefühl. »Und ich möchte, dass Sie mir jetzt – um Ihretwillen…« Ich verstummte.
»Was soll ich?«, fragte sie.
»Mir alles erzählen, was in dieser Angelegenheit von Bedeutung sein könnte«, sagte ich ernst.
Sie lachte.
»Ich weiß nichts«, sagte sie, »absolut nichts!«
Und kein Hinweis auf die drohende Gefahr konnte sie veranlassen, ihre starre Haltung aufzugeben. Dennoch war ich überzeugt, dass sie in Wirklichkeit sehr viel mehr wusste als wir anderen, dass sie irgendeinen Hinweis besaß, von dem wir nicht das Geringste ahnten. Ich sah jedoch auch, dass es unmöglich war, sie zum Sprechen zu bringen.
Ich beschloss indes, jede nur mögliche Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen, da ich überzeugt war, dass sie von einer sehr realen und nahe bevorstehenden Gefahr bedroht war. Bevor sie am folgenden Abend auf ihr Zimmer ging, wurde der ganze Raum von Settle und mir gründlich durchsucht. Außerdem hatten wir abgemacht, dass er und ich abwechselnd im Korridor Wache halten würden.
Ich übernahm die erste Wache, die ohne Zwischenfall vorüberging, und um drei Uhr löste Settle mich ab. Nach der schlaflosen Nacht war ich müde und schlief sofort ein. Und dabei hatte ich einen höchst seltsamen Traum.
Ich träumte, die graue Katze säße am Fußende meines Bettes und ihre Augen wären merkwürdig flehend auf mich gerichtet. Mit der Sicherheit des Träumenden wusste ich auf einmal, dass das Tier mich aufforderte, ihm zu folgen. Das tat ich, und es führte mich die große Treppe hinunter und dann nach rechts, in den gegenüberliegenden Flügel des Hauses und in einen Raum, der offenbar die Bibliothek war. Dort blieb das Tier an der einen Wand stehen und hob dann seine Vorderpfoten hoch und stützte sie auf eines der unteren Bücherregale; dabei blickte es mich wieder mit diesem rührenden bittenden Ausdruck an.
Auf einmal verschwanden Katze und Bibliothek; ich erwachte und stellte fest, dass es bereits Morgen war.
Auch Settles Wache war ohne Zwischenfall verlaufen, dafür interessierte er sich brennend für meinen Traum.
Auf mein Verlangen hin führte er mich in die Bibliothek, die in jeder Einzelheit mit meinem Traumbild übereinstimmte. Ich konnte sogar genau auf die Stelle deuten, von der aus das Tier mir den letzten traurigen Blick zugeworfen hatte. Schweigend und verwirrt standen wir beide da. Plötzlich kam mir eine Idee, und ich bückte mich, um die Titel jener Bücher zu lesen, die an dieser einen Stelle standen. Dabei fiel mir auf, dass sich in der Reihe eine Lücke befand.
»Irgendein Buch ist hier herausgenommen worden«, sagte ich zu Settle.
Er beugte sich ebenfalls zu dem Regal hinunter.
»Nanu«, sagte er. »Hier hinten steckt ein Nagel, an dem ein Stück vom Umschlag des fehlenden Buches hängt.«
Sorgfältig löste er den kleinen Papierfetzen ab; das Stück war zwar nicht größer als knappe drei Zentimeter im Quadrat – aber zwei bedeutungsvolle Wörter standen darauf:
»Die Katze…«
Wir sahen uns an.
»Jetzt läuft es mir doch kalt über den Rücken«, sagte Settle. »Das ist verdammt unheimlich.«
»Ich würde alles darum geben«, sagte ich, »wenn ich wüsste, welches
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