Der Hund des Todes
von allen Geschöpfen die wirklich freien. Die Erde unter ihnen, der Himmel über ihnen, die Welt, sie zu durchwandern – sie waren durch nichts eingekerkert, lagen in keinen Ketten.
Wie ein Blitz durchfuhr es ihn, dass das, was ihn so schmerzlich fesselte, das war, wofür er gearbeitet und das er über alles gesetzt hatte: Wohlstand, Reichtum! Er hatte es für das Stärkste auf Erden gehalten, und jetzt, da er in seinem eigenen goldenen Käfig saß, entdeckte er die Bedeutung jener Worte. Es war sein Geld, das ihn fesselte, gefangen hielt.
Aber war es wirklich nur das? Gab es eine noch tiefere und klarere Wahrheit, die er bislang nicht gesehen hatte?
War es das Geld, oder war es seine eigene Liebe zum Geld? Er war gefesselt von Ketten, die er sich selbst geschmiedet hatte, nicht der Reichtum selbst, sondern seine Liebe zum Reichtum war seine Kette. Plötzlich erkannte er deutlich die zwei Kräfte, die an ihm zogen: die schwere Macht des Materialismus, die ihn einschloss und umgab, und der klare, befehlende Ruf – den er selbst als den Ruf der Flügel bezeichnet hatte.
Während die eine Kraft kämpfte und sich an ihn klammerte, verachtete die andere den Kampf und beugte sich keinem Krieg. Sie rief ihn nur – unaufhörlich… Er hörte es so deutlich, dass er jedes ihrer Worte vernahm.
»Du kannst mit mir nicht handeln«, schien sie zu sagen, »denn ich stehe über allen Dingen. Wenn du meinem Ruf folgen willst, musst du alles andere aufgeben und die Kraft abschneiden, die dich festhält. Nur der Freie kann mir folgen…«
»Ich kann nicht«, schrie Hamer. »Ich will nicht!«
Ein paar Leute wandten den Kopf nach dem großen dicken Mann, der mit sich selbst redete.
Man verlangte von ihm Verzicht auf das, was ihm am liebsten war, das ein Teil seiner selbst war. Hamer dachte an den Mann ohne Beine…
4
»Was um Himmels willen führt dich zu mir?« fragte Borrow.
Tatsächlich war das ärmliche Ostende der Stadt ein ungewöhnlicher Hintergrund für Hamer.
»Ich habe schon eine ganze Menge Predigten gehört«, sagte der Millionär, »in denen aufgezählt wurde, was alles getan werden könnte, wenn Leute wie du die Geldmittel dazu hätten. Ich bin heute zu dir gekommen, um dir zu sagen: Du kannst diese Geldmittel haben.«
»Sehr nobel von dir«, antwortete Borrow, einigermaßen verwundert. »Eine größere Unterstützung?«
Hamer lächelte trocken. »Das kann man wohl sagen… Bis auf den letzten Penny das, was ich habe.«
»Wie bitte?«
Hamer erklärte die Einzelheiten in seiner kurzen, geschäftlichen Art. In Borrows Kopf begann es sich wild zu drehen.
»Du meinst also – du meinst wirklich, dass du dein gesamtes Vermögen den Armen dieses Stadtviertels zukommen lassen und mich als deinen Verwalter einsetzen willst?«
»Genau das.«
»Aber warum denn?«
»Das kann ich dir nicht erklären«, sagte Hamer langsam. »Erinnerst du dich noch an unser letztes Gespräch über Visionen im vergangenen Februar? Also gut – eine solche Vision hat mich in Besitz genommen.«
»Das ist großartig!«
Borrow beugte sich vor, seine Augen leuchteten.
»Ach, so großartig ist das nun auch wieder nicht«, erwiderte Hamer unwirsch. »Ich schere mich einen Dreck um mein Eigentum in diesem Ostlondon. Alles, was die hier haben wollen, sind die Moneten. Ich war selbst arm genug, weiß das also. Ich habe mich aus der Armut herausgearbeitet. Aber jetzt will ich mein Geld loswerden, und diese blöde Gesellschaft soll es nicht haben. Du bist ein Mann, dem ich vertraue. Füttere Leiber oder Seelen damit – ersteres ist besser. Ich bin auch hungrig gewesen. Mach damit, was du willst.«
»So etwas hat es meines Wissens nie vorher gegeben«, stammelte Borrow.
»Alles ist fix und fertig abgemacht«, fuhr Hamer fort. »Meine Rechtsanwälte haben die Einzelheiten festgelegt, ich habe bereits unterschrieben. Ich war fleißig in den letzten vierundzwanzig Tagen, glaub mir. Es ist ebenso schwierig, sein Vermögen loszuwerden, wie eines zu erwerben.«
»Aber du hast doch hoffentlich etwas behalten?«
»Nicht einen Penny«, sagte Hamer gut gelaunt. »Das heißt, das stimmt nicht ganz. Ich habe noch einen in meiner Hosentasche.« Er lachte. Er sagte seinem verstörten Freund »Auf Wiedersehen« und verließ die Pfarrei.
Hamer ging durch schmale, übel riechende Gassen. Die Worte, die er gerade noch heiter ausgesprochen hatte, klangen in seinen Ohren nach mit dem schmerzlichen Gefühl des Verlustes. »Nicht einen
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