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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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mit den Dingen, die Ihnen soviel bedeutet haben?« fragte Seldon.
    »Das ist ja das Schlimme. Daran liegt mir noch ebenso viel wie vorher, wenn nicht noch mehr. Diese Dinge, wie Komfort, Luxus, Vergnügen, scheinen der entgegengesetzte Pol zu den Flügeln zu sein. Es ist ein ewiger Kampf zwischen ihnen. Ich weiß nicht, wie dieser Kampf ausgehen wird.«
    Seldon saß schweigend da. Die merkwürdige Erzählung, der er zugehört hatte, war wirklich fantastisch. War das alles Selbsttäuschung, wilde Halluzination – oder gab es die Möglichkeit, dass sie wahr war? Und wenn es die Wahrheit war, warum ausgerechnet bei Hamer? Ausgerechnet bei diesem Materialisten, bei dem Mann, der das Fleisch liebte und den Geist leugnete. Von diesem Mann hätte man annehmen können, er sei der letzte, dem die Gesichte einer anderen Welt zuteil würden.
    Über den Tisch hinweg beobachtete ihn Hamer ängstlich.
    »Ich nehme an, dass Sie nur abwarten können. Warten und sehen, was weiter geschieht«, sagte Seldon langsam.
    »Ich kann nicht! Ich sagte doch, ich kann nicht! Aus Ihren Worten geht hervor, dass Sie das alles nicht verstanden haben. Ich werde in zwei Teile zerrissen. Dieser fürchterliche Kampf, dieser tötende, immer währende Kampf zwischen… zwischen…« Hamer zögerte.
    »… dem Fleischlichen und dem Geist?« folgerte Seldon.
    Hamer starrte dumpf vor sich hin. »Vielleicht kann man es so nennen. Jedenfalls ist es unerträglich… Ich kann nicht frei werden…«
    Bernard Seldon schüttelte wieder den Kopf. Dieses Unerklärliche hielt ihn gefangen. Er machte einen weiteren Vorschlag.
    »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre«, riet er, »würde ich mir den Krüppel schnappen.«
    Doch als er später heimging, flüsterte er vor sich hin: »Kanäle… Ich möchte bloß wissen…?«
     
     

3
     
    Silas Hamer verließ das Haus am nächsten Morgen mit einer neuen Entschlossenheit im Schritt. Er hatte den Entschluss gefasst, Seldons Rat zu befolgen und den Mann ohne Beine zu finden. Insgeheim war er bei sich überzeugt, dass er umsonst suchen und dass der Mann ebenso vollständig verschwunden sein würde, als hätte ihn die Erde verschluckt.
    Die Gebäude zu beiden Seiten der Nebenstraße traf noch kein Sonnenlicht. Sie lagen dunkel und geheimnisvoll da. Nur an einer Stelle, in der Mitte der Nebenstraße, war die Mauer durchbrochen, und dort fiel ein Strahl von goldenem Licht auf eine Gestalt, die auf der Erde saß. Das war der Mann!
    Das Flöteninstrument lehnte an der Wand neben seinen Krücken, und er bemalte die Platten des Fußweges mit bunter Kreide. Zwei seiner Zeichnungen waren fertig: Waldszenen von wunderbarer Schönheit und Feinheit, sich wiegende Bäume und ein sich schlängelnder Bach, der zu fließen schien.
    Wieder kamen Hamer Zweifel. War dieser Mann nur ein Straßenmusikant, ein Lebenskünstler? War er mehr?
    Da schrie der Millionär plötzlich wild und wütend: »Wer bist du? In Gottes Namen, wer bist du?«
    Die Augen des Mannes trafen die seinen, lächelnd.
    »Warum antworten Sie nicht? Sprechen Sie, Mann, sprechen Sie!«
    Da sah Hamer, dass der Mann mit unglaublicher Schnelligkeit mit der Kreide über eine leere Steinplatte fuhr. Hamer folgte seiner Bewegung mit den Augen. Ein paar gewagte Striche, riesige Bäume nahmen Formen an. Auf einem Felsblock sitzend – ein Mann, der ein flötenähnliches Instrument blies, der ein merkwürdig schönes Gesicht hatte – und Ziegenbeine!
    Der Krüppel hatte eine schnelle Bewegung gemacht. Der Mann saß noch immer auf dem Felsen, aber die Ziegenbeine waren verschwunden. Wieder trafen seine Augen die von Hamer.
    »Sie waren böse«, sagte er.
    Hamer starrte ihn an, fasziniert. Das Gesicht vor ihm war das Gesicht auf dem Bild, doch auf unglaubliche Art verschönt – von allem gereinigt, bis auf eine intensive und köstliche Lebensfreude.
    Hamer wandte sich ab und floh die Seitenstraße hinunter ins helle Sonnenlicht. Immer wieder sagte er vor sich hin: »Es ist unmöglich. Ich bin wahnsinnig, ich träume!« Aber das Gesicht jagte ihn – das Gesicht des Pan…
    Hamer ging in den Park und setzte sich auf einen Stuhl. Es war eine ruhige Stunde. Ein paar Kindermädchen saßen mit den ihnen anvertrauten Sprösslingen im Schatten der Bäume, hier und da lagen im Grün verstreut wie kleine Inseln im Meer die klobigen Formen menschlicher Wesen…
    Die Worte »zerlumpter Vagabund« waren für Hamer gleichbedeutend mit Elend gewesen. Jetzt plötzlich beneidete er sie.
    Sie erschienen ihm

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