Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
erwartet, dass die alte Frau über seinen kleinen Witz lachen würde, doch zu seiner Überraschung blieb sie ernst.
    »Monsieur, nehmen wir einmal an«, sagte sie zögernd, »die Geister lassen sie nicht in Ruhe.«
    Raoul sah sie verblüfft an.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich sagte«, wiederholte Elise, »nehmen wir einmal an, die Geister lassen Madame nicht in Ruhe.«
    »Ich dachte, Sie glauben nicht an Geister, Elise.«
    »Nicht mehr«, sagte Elise trotzig. »Es ist töricht, daran zu glauben. Aber trotzdem…«
    »Nun?«
    »Es fällt mir schwer, das zu erklären, Monsieur. Sehen Sie, ich habe immer gedacht, dass diese Medien, wie Sie sie nennen, einfach raffinierte Betrüger sind. Aber Madame ist nicht so. Madame ist gut. Madame ist ehrlich und – « Sie senkte die Stimme und sprach weiter in einem furchtsamen Ton. »Es geschehen Dinge. Das sind keine Tricks. Es geschehen Dinge, und darum habe ich Angst. Denn eines glaube ich sicher, Monsieur: dass es nicht recht ist. Es ist gegen die Natur und gegen Gott, und irgendjemand wird dafür büßen müssen.«
    Raoul sprang aus seinem Sessel auf, ging auf sie zu und klopfte ihr auf die Schulter.
    »Beruhigen Sie sich, gute Elise«, sagte er lächelnd. »Hören Sie mal zu, ich werde Ihnen etwas Erfreuliches sagen. Heute ist die letzte dieser Séancen; ab heute Abend wird es keine mehr geben.«
    »Heute findet also eine statt?«, fragte die alte Frau argwöhnisch.
    »Die letzte, Elise, die letzte.«
    Elise schüttelte traurig den Kopf.
    »Madame fühlt sich nicht wohl…«, begann sie.
    Aber sie wurde unterbrochen, denn die Tür öffnete sich, und eine große blonde Frau trat ein. Sie war schlank und anmutig. Ihr Gesicht glich dem einer Botticelli-Madonna. Raouls Augen strahlten, und Elise zog sich schnell und diskret zurück.
    »Simone!«
    Er ergriff ihre schlanken weißen Hände und küsste sie.
    »Raoul, mein Liebster.«
    Wieder küsste er ihre Hände, dann betrachtete er eingehend ihr Gesicht.
    »Simone! Du siehst blass aus! Elise sagte mir, dass du dich ausgeruht hast. Du bist doch nicht etwa krank, meine Liebste?«
    »Nein, krank nicht…« Sie zögerte.
    Er führte sie zum Sofa und setzte sich neben sie.
    »Sag mir, was dir fehlt.«
    Simone lächelte schwach.
    »Du wirst mich für verrückt halten«, flüsterte sie.
    »Ich? Dich für verrückt halten? Nein, niemals.«
    Simone entzog ihm ihre Hand. Sie saß einen Augenblick vollkommen ruhig und sah auf den Teppich. Dann sagte sie leise und wie gehetzt: »Ich habe Angst, Raoul.«
    Er wartete einen Moment, da er dachte, sie würde weitersprechen. Als sie das aber nicht tat, sagte er forsch:
    »Aber, aber, wovor denn?«
    »Ich weiß nicht – einfach Angst.«
    »Aber…«
    Er sah sie erstaunt an, und sie begegnete seinem Blick.
    »Ja, es ist absurd, nicht wahr? Und doch ist mir so. Angst, sonst nichts. Ich weiß nicht, warum, wovor, doch die ganze Zeit bin ich wie besessen von der Vorstellung, dass mir etwas Schreckliches – ganz Schreckliches zustoßen wird…«
    Sie starrte vor sich hin. Raoul legte sanft einen Arm um sie. »Meine Liebste«, sagte er, »komm, du darfst dich nicht so gehen lassen. Ich weiß, was es ist: Überanstrengung, Simone. Du brauchst Ruhe, das ist alles, Ruhe und Entspannung.«
    Sie sah ihn dankbar an.
    »Ja, Raoul, du hast Recht. Das ist es, was ich brauche, Ruhe und Entspannung.«
    Sie schloss die Augen und schmiegte sich ein wenig fester in seinen Arm.
    »Und Liebe«, flüsterte Raoul ihr ins Ohr.
    Sein Arm zog sie sanft an sich. Simone, noch mit geschlossenen Augen, atmete tief und erlöst.
    »Ja«, murmelte sie, »ja. Wenn du mich in deinen Armen hältst, fühle ich mich geborgen. Dann vergesse ich mein Leben, das entsetzliche Leben eines Mediums. Du weißt viel, Raoul, aber selbst du weißt nicht alles, was das bedeutet.«
    Er fühlte, wie sich ihr Körper in seiner Umarmung versteifte. Sie öffnete die Augen und blickte starr vor sich hin.
    »Man sitzt in der Kabine im Dunkeln, wartet, und das Dunkel ist entsetzlich, Raoul; denn es ist das Dunkel der Leere, des Nichts. Mit großer Willensanstrengung verliert man sich selbst darin. Danach weiß man nichts, man fühlt nichts, aber hinterher kommt die langsame, schmerzvolle Rückkehr, das Erwachen aus dem Schlaf, aber man ist so müde, so furchtbar müde.«
    »Ich weiß«, murmelte Raoul, »ich weiß.«
    »So müde«, murmelte Simone wieder.
    Ihr ganzer Körper schien in sich zusammenzusinken, als sie diese Worte wiederholte.
    »Aber du

Weitere Kostenlose Bücher